Rn 3
§ 2289 I schützt das Recht des vertraglichen Bedachten. Die vertragliche Verfügung hebt eine frühere letztwillige Verfügung des Erblassers auf, soweit diese das Recht des Bedachten beeinträchtigt. Dafür ist unabhängig von wirtschaftlichen Kriterien allein entscheidend, ob sie den Vertragserben in seiner im Erbvertrag nach Inhalt und Umfang von den Parteien formulierten Rechtsstellung beeinträchtigt, dh die Rechtsstellung des Vertragserben nach der konkreten Vereinbarung durch die spätere letztwillige Verfügung gemindert, beschränkt, belastet oder gegenstandslos gemacht wird (BGH NJW 11, 1733, 1735). Im Unterschied zu § 2258 I kann eine vorausgehende Verfügung auch beeinträchtigen, wenn sie dem Erbvertrag nicht widerspricht (BGH NJW 58, 498 [BGH 08.01.1958 - IV ZR 219/57]; MüKo/Musielak Rz 11). Eine Beeinträchtigung liegt zB vor, ordnete der Erblasser zuvor Vermächtnisse, Auflagen (Frankf 22.8.17 – 8 U 39/17), Testamentsvollstreckung (BGH NJW 62, 912; München ZEV 08, 340, 341 [OLG München 03.06.2008 - 34 Wx 29/08]), wertverschiebende Teilungsanordnungen (BGH NJW 62, 912 [BGH 14.02.1962 - V ZR 92/60]; Braunschw ZEV 96, 69, 70) oder Einsetzung eines Schiedsrichters (str; Hamm NJW-RR 91, 455, 456) an. Die bloße Auswechselung der Person des Testamentsvollstreckers beeinträchtigt, wenn auf diese die Rechtsstellung des Vertragserben ausgedehnt wurde (BGH NJW 11, 1733, 1736; FamRZ 12, 1869, 1871; 13.9.12 – IV ZB 23/11).
Rn 4
§ 2289 I 1 wirkt nicht auf Verfügungen, die der Erblasser nicht einseitig aufheben kann. Die Wirkung tritt nicht ein, wenn die frühere, zeitlich vor dem Erbvertrag getroffene Verfügung ein wechselbezügliches gemeinschaftliches Testament (vgl § 2271) oder ein Erbvertrag ist. Dann bewirkt diese Verfügung die Unwirksamkeit des zeitlich nachfolgenden Erbvertrags (§§ 2271, 2289 I 2; Rn 5), soweit die Beeinträchtigung reicht. Das gilt nicht, wollten die Vertragspartner mit dem späteren Erbvertrag die frühere Verfügung ersetzen, also aufheben (§ 2290). Wollten sie sie aufrechterhalten und kommt dieses im Erbvertrag zum Ausdruck, ist die spätere erbvertragliche Verfügung insoweit eingeschränkt. Auch wenn in der Erbvertragsurkunde zugleich einseitig Anordnungen getroffen werden (§ 2299), die die vertragsmäßigen Verfügungen einschränken, sind diese von vornherein eingeschränkt, da sie der andere Vertragspartner kennt und ggf widersprochen hätte (Ddorf FamRZ 95, 123; MüKo/Musielak Rz 5). Die erbvertragliche Bindungswirkung entfällt, insoweit ein wirksamer Zuwendungsverzicht vorliegt (§ 2352; Köln ZEV 21, 642 [OLG Köln 02.06.2021 - 2 Wx 145/21] Rz 10; München Rpfleger 05, 668 [OLG München 20.07.2005 - 31 Wx 018/05]). Ein zuwiderlaufendes Testament tritt dann in Kraft (Ddorf NJW-RR 20, 777 [OLG München 05.05.2020 - 31 Wx 246/19] Rz 19f).
Rn 5
Zeitlich nachfolgende, beeinträchtigende (Rn 3) Verfügungen vTw (Testament oder Erbvertrag) sind nach I 2 unwirksam, wenn sie nicht vorbehalten (Rn 6 ff) sind (München NJW-RR 17, 1362 [OLG München 18.09.2017 - 34 Wx 262/17] Rz 22). Das Zeitverhältnis wird sich aus dem Datum der Errichtung (vgl § 9 II BeurkG) ergeben. Verfügungen vTw, die die Rechtsstellung des Bedachten verbessern, bleiben möglich. Ein Hofübergabevertrag steht hinsichtlich der Auswahl des Hofnachfolgers einer Verfügung vTw (vgl §§ 7 I 1, 17 HöfeO) gleich (Celle RdL 05, 78, 79; Schlesw SchlHA 05, 373, 374). Die Hofeigenschaft kann aber durch eine Erklärung nach § 1 IV HöfeO beseitigt und so die Unwirksamkeitsfolge des I 2 vermieden werden (aaO).