Gesetzestext
(1) Hat ein Pflichtteilsberechtigter, der als Erbe oder als Vermächtnisnehmer in der in § 2306 bezeichneten Art beschränkt oder beschwert ist, die Erbschaft oder das Vermächtnis ausgeschlagen, so kann er die Ausschlagung anfechten, wenn die Beschränkung oder die Beschwerung zur Zeit der Ausschlagung weggefallen und der Wegfall ihm nicht bekannt war.
(2) 1Auf die Anfechtung der Ausschlagung eines Vermächtnisses finden die für die Anfechtung der Ausschlagung einer Erbschaft geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung. 2Die Anfechtung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Beschwerten.
A. Zweck.
Rn 1
Die Norm ermöglicht dem Pflichtteilsberechtigten aus Billigkeitsgründen, seine Ausschlagung nach §§ 2306, 2307 (ggf durch Verstreichenlassen der Erklärungsfrist; § 2307 II) rückwirkend durch Anfechtung (§ 1957) zu vernichten, wenn ihm unbekannt war, dass Belastungen iSv § 2306 zur Zeit der Ausschlagung weggefallen waren. Er verliert dann neben der in Wirklichkeit unbelasteten Erbschaft auch den Pflichtteilsanspruch, den er über § 2306 I 1 erlangen wollte. Die dort angeordnete Rechtsfolge setzt eine tatsächlich bestehende Belastung voraus (Ausn: Ehegatte in Zugewinngemeinschaft). Zum Berechnungsirrtum s.a. § 2306 Rn 10 f.
B. Anfechtung.
I. Anfechtungsgrund.
Rn 2
Eine der Beschränkungen oder Beschwerungen iSv § 2306 I 1 muss im Erbfall objektiv bestanden haben und bis zur Zeit der Ausschlagung weggefallen sein (Staud/Otte Rz 16). Es genügt ein Wegfall nach der Ausschlagung, wenn er ex tunc (§ 142) auf den Zeitpunkt des Erbfalls zurückwirkt. Es soll dem Pflichtteilsberechtigten über den Pflichtteil hinaus die unbelastete Erbschaft erhalten werden (BGH NJW 91, 169, 171 [BGH 26.09.1990 - IV ZR 131/89] zur Testamentsanfechtung; Staud/Otte Rz 18; aA MüKo/Lange Rz 4).
Rn 3
Der Wegfall darf dem Berechtigten zur Zeit der Ausschlagung nicht bekannt gewesen sein; grobe Fahrlässigkeit schadet nicht (Mot V, 511). Der Irrtum muss kausal für die Anfechtung sein (Stuttg MDR 83, 751; MüKo/Lange Rz 5; Soergel/Dieckmann Rz 5; aA RGRK/Johannsen Rz 1; Staud/Otte Rz 21).
II. Wirkung.
Rn 4
Die Anfechtung der Ausschlagung gilt als Annahme (§ 1957 I). Familiengerichtliche Genehmigung nach §§ 1799, 1851 ist nicht erforderlich, da kein rechtsgeschäftlicher Pflichtteilsverzicht vorliegt.
C. Annahme.
Rn 5
In § 2308 ist nicht der Fall geregelt, dass der Pflichtteilsberechtigte in Unkenntnis einer Beschränkung oder Beschwerung eine Erbschaft oder ein Vermächtnis angenommen hat. Da neben § 2308 die Anfechtung der Ausschlagung oder der Annahme nach allgemeinen Grundsätzen möglich bleibt (BGH NJW 91, 169, 170 [BGH 26.09.1990 - IV ZR 131/89]), ist hier ist eine Anfechtung der Annahme nach § 119 II möglich, da solche Belastungen verkehrswesentliche Eigenschaften sind (BGH NJW 89, 2885; BayObLG NJW-RR 95, 904, 906; 97, 72, 73; Hamm FamRZ 05, 306, 307 zu angeordneter Nacherbschaft). Kein Anfechtungsgrund ist der Irrtum über die Tragweite einer bekannten Belastung, den wirtschaftlichen Wert der Zuwendung (Stuttg FamRZ 09, 1182; Frankf 22.11.10 – 20 W 82/07) oder über das zukünftige Verhalten Dritter (MüKo/Lange Rz 11). Die Anfechtung der Annahme führt zur Ausschlagung der Erbschaft (§ 1957 I). S zur Anfechtung auch § 2306 Rn 10.
D. Form/Frist.
Rn 6
Die Form der Ausschlagung richtet sich nach §§ 1955, 1945, die Frist nach § 1954 (vgl II). Bei Vermächtnissen ist nicht das Nachlassgericht, sondern der Beschwerte Empfänger der hier formlos möglichen Erklärung (II 2).