Rn 36
Der zweite Weg zum Nachweis der erforderlichen Kosten führt über Sachverständigengutachten (Abrechnung auf Gutachtenbasis). Begehrt der Geschädigte den Ersatz fiktiver Reparaturkosten, genügt es im Allgemeinen, den Schaden auf der Grundlage eines solchen Sachverständigengutachtens zu berechnen, sofern das Gutachten hinreichend ausführlich ist und das Bemühen erkennen lässt, dem konkreten Schadensfall vom Standpunkt eines wirtschaftlich denkenden Betrachters gerecht zu werden (BGHZ 155, 1). Bei dieser fiktiven Schadensberechnung ist für die Bemessung des Schadensersatzanspruchs verfahrensrechtlich regelmäßig der Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung maßgeblich, sodass bis dahin eintretende Preissteigerungen zulasten des Schädigers gehen (BGH NJW 20, 1795 [BGH 18.02.2020 - VI ZR 115/19]). Bei Positionen, deren Anfall nicht sicher ist, muss im Fall solch fiktiver Abrechnung nach § 287 ZPO geschätzt werden, ob sie anfallen würden (BGH NJW 20, 236 [BGH 17.09.2019 - VI ZR 396/18] zu Beilackierungskosten). Allerdings muss sich der Geschädigte, der mühelos eine ohne Weiteres zugängliche günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit hat, unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gem § 254 Abs 2 auf diese verweisen lassen (Einzelheiten bei BGH NJW 19, 852 [BGH 25.09.2018 - VI ZR 65/18], auch zum Ersatz sog. UPE-Zuschläge). Die Kosten der Begutachtung sind (mit Ausnahme von Bagatellschäden, bei welchen ein Kostenvoranschlag genügen soll) als Schadensermittlungskosten ebenfalls erstattungsfähig (BGH NJW 05, 356; NJW 06, 2472; NJW 17, 1875; zur Abtretbarkeit des Ersatzanspruchs an den Gutachter BGH VersR 16, 1330; zu corona-bedingten Desinfektionskosten als Teil der Gutachterkosten BGH NJW 23, 1057), allerdings – wie der sonstige Schaden auch – im Fall einer quotalen Haftung des Gegners auch nur nach der Quote (BGH NJW 12, 1953 [BGH 07.02.2012 - VI ZR 133/11] gegen anderslautende Instanzen). Hierbei ist der Einwand, es gebe ›günstigere Methoden‹ sachverständiger Rechnungsstellung, dem Schädiger idR verwehrt: nur wenn der Geschädigte erkennen kann, dass der von ihm ausgewählte SV eine Vergütung verlangt, die die in der Branche üblichen Preise deutlich übersteigt, gebietet das schadensrechtliche Wirtschaftlichkeitsgebot, einen zur Verfügung stehenden günstigeren SV zu beauftragen, ansonsten bildet die tatsächliche Rechnungshöhe bei der Schadensschätzung nach § 287 ZPO ein wesentliches Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung ›erforderlichen‹ Betrages (BGH NJW 14, 1947 [BGH 11.02.2014 - VI ZR 225/13]; 20, 1148; Einzelheiten bei BGH NJW 14, 3151 [BGH 22.07.2014 - VI ZR 357/13]; 16, 3363 [BGH 19.07.2016 - VI ZR 491/15]; ferner BGH NJW 17, 1875 [BGH 28.02.2017 - VI ZR 76/16] zum Fehlen einer Preisvereinbarung), wenn der Geschädigte sie bezahlt (sonst fehlt es am tatsächlichen Aufwand, der den Anhalt für die Indizwirkung bietet, BGH VersR 18, 240; VersR 18, 1338; NJW 20, 1148; auch bei Bezahlung durch Dritte, BGH NJW 20, 1001; weitergehend BGH NJW 23, 1718: auch ohne Bezahlung durch den Geschädigten und trotz späterer Abtretung der Forderung an den Gutachter). Insoweit obliegt dem Geschädigten allerdings im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsgebots grds eine gewisse Plausibilitätskontrolle der vom SV bei Vertragsabschluss geforderten oder später berechneten Preise, BGH NJW 16, 3092. Die Kosten eines gänzlich unbrauchbaren Gutachtens sollen nicht ersatzfähig sein (da der Geschädigte dies auch nicht zu bezahlen braucht), OLG Hamm r+s 17, 218. Ist in diesen Fällen eine Rechnung über Gutachterkosten nicht ersatzfähig, weil überhöht, müssen die ›erforderlichen‹ und allein ersatzfähigen Sachverständigenkosten unter Heranziehung von Tabellen und Listen geschätzt werden, BGH VersR 18, 240; NJW 20, 1148. Der Weg über ein Gutachten oder bei Bagatellschäden über einen Kostenvoranschlag kommt va in Betracht, wenn der Geschädigte die Reparatur nicht wirklich ausführen lassen, sondern von seiner Verwendungsfreiheit (s.o. Rn 26) Gebrauch machen will. Zur fiktiven Schadensberechnung einschr BGH NJW 08, 1941 [BGH 29.04.2008 - VI ZR 220/07] Tz 9: Ein Anspruch auf die fiktiven Reparaturkosten soll in manchen Fällen die Weiterbenutzung des Fahrzeugs über mindestens 6 Monate voraussetzen, Rn 29 mwN. Doch sollte der Streit seit dem Änderungsgesetz vom 19.7.02 (s.o. Rn 1) entschieden sein: Indem der Gesetzgeber durch II 2 nur die nicht wirklich entstandene Umsatzsteuer vom Ersatz ausgeschlossen hat, ist iÜ der Ersatz fiktiver Herstellungskosten bis zur Grenze von § 251 II anerkannt (Schiemann VersR 06, 160, 166). Anders aber bei Vornahme eines Deckungskaufs: Dieser beendet allemal zugunsten des Schädigers die Entstehung eines künftigen Schadens (BGH NJW 08, 2430 [BGH 15.05.2008 - III ZR 170/07] Tz 11).
Rn 37
Fraglich sein kann das Recht des Geschädigten, seine Abrechnung zu ändern: Wenn er zunächst auf Gutachterbasis abgerechnet hat, kann er dann noch die höheren Kosten einer später wirklich ausgeführten Reparatur ...