Rn 8
Nach der Formulierung der Beispielstatbestände in II Nr 1 bis Nr 3 ist keine Unzumutbarkeitsprüfung erforderlich, vielmehr genügt für die Wirksamkeit der Kündigung gem § 543 das Vorliegen eines der Tatbestände als solcher (BGH NJW 15, 1296 [BGH 04.02.2015 - VIII ZR 175/14]; BGH NJW 09, 2297 [BGH 29.04.2009 - VIII ZR 142/08]). Sind die Tatbestände des II oder des bei Wohnraummiete ergänzend anwendbaren § 569 nicht erfüllt, kann gleichwohl ein Kündigungsgrund nach I vorliegen (zB wiederholte verspätete Mietzahlung).
1. Nichtgewährung des vertragsgemäßen Gebrauchs gem § 543 II Nr 1.
Rn 9
Der Mieter hat ein fristloses Kündigungsrecht, wenn ihm der vertragsgemäße Gebrauch der Mietsache ganz bzw teilweise nicht gewährt oder wieder entzogen wird. Ein vertragswidriger Gebrauch ist nicht geschützt. Die Nichtgewährung kann auf einem Sach- oder Rechtsmangel (BGH NJW 17, 1104 [BGH 02.11.2016 - XII ZR 153/15]), dem Fehlen einer zugesicherten Eigenschaft, teilweiser Nichterfüllung oder sonstigen Ursachen beruhen – bspw behördliche Nutzungsuntersagungen, die ihre Ursache in der baulichen Beschaffenheit der Mieträume haben und nicht in persönlichen/betrieblichen Umständen des Mieters (BGH IMR 08, 81; Dresd IMR 18, 61); Unterschreitung der im Mietvertrag angegebenen Mietfläche um mehr als 10 % (BGH NJW 05, 2153 [BGH 04.05.2005 - XII ZR 254/01]); bei Vermietung ›vom Reißbrett‹ verspätete Übergabe (Hambg IMR 19, 321); Einbruchsserie mit Verlust des Versicherungsschutzes (Naumbg NZM 98, 438; vgl aber KG NZM 98, 437). Es ist kein Verschulden des Vermieters erforderlich. Der Mieter kann jedoch nicht kündigen, wenn er die Störung des vertragsgemäßen Gebrauchs selbst zu vertreten hat (vgl Rn 12).
Rn 9a
Staatlich verordnete Ladenschließungen durch die COVID-19-Pandemie (›Corona-Virus‹) stellen keine kündigungsrelevante Nichtgewährung des Mietgebrauchs dar, weil die Ladenschließungen in Bezug zum Betrieb des Mieters und dessen Verwendungsrisiko stehen (vgl BGH NJW 11, 3151 [BGH 13.07.2011 - XII ZR 189/09]) und Gründe aus der Risikosphäre des Mieters keinen Kündigungstatbestand rechtfertigen. Auch die Konzentration von Corona-verursachenden Aerosolen in Einzelhandelsflächen begründet keinen Kündigungsgrund (Dresd IMR 23, 145) (s aber zur möglichen Störung der Geschäftsgrundlage: § 536 Rn 4).
Rn 10
Es muss sich um eine erhebliche Einschränkung des vertragsgemäßen Gebrauchs handeln, um einen Missbrauch des Kündigungsrechts zu vermeiden (BGH NJW 05, 2152 [BGH 04.05.2005 - XII ZR 254/01] – § 242) und einen Wertungswiderspruch zu § 536 I 3 zu vermeiden. Bei unerheblicher Einschränkung kommt eine Kündigung daher nicht in Betracht (zB schwerere Erreichbarkeit durch Änderung der öffentlichen Nahverkehrsanbindung (LG Ddorf NJW-RR 03, 1594 [LG Düsseldorf 10.06.2003 - 24 S 49/03]), vorübergehende Zugangserschwerung durch Bauarbeiten (Ddorf IMR 12, 285). Anders bei dauerhafter Gerüstaufstellung vor Ladenlokal (KG IMR 14, 423).
Rn 11
Zur Abhilfefrist und deren Entbehrlichkeit s Rn 24 f. Der bloße Beginn der Mangelbeseitigung am Tag des Fristablaufs schließt das Kündigungsrecht nicht aus (Ddorf ZMR 95, 351). Zur Beweislast bei erheblichen Mängeln der Mietsache s § 536 Rn 16. Der Mieter trägt iÜ die Beweislast für die sonstige Nichtgewährung des Gebrauchs, die Fristsetzung bzw deren Entbehrlichkeit, das besondere Interesse an der Vertragsbeendigung bei nur unerheblicher Gebrauchseinschränkung, bei Zerstörung der Mietsache während des Mietgebrauchs für sein fehlendes Verschulden (BGH NJW 98, 594 [BGH 26.11.1997 - XII ZR 28/96]). Der Vermieter muss beweisen die rechtzeitige Gebrauchsgewährung, die Abhilfe iRd eingeräumten Frist (IV 2) oder die Unerheblichkeit der Vorenthaltung (BGH NJW 76, 796 [BGH 22.10.1975 - VIII ZR 160/74]).
Rn 12
Die Kündigung muss binnen angemessener Frist nach Kenntnis vom Kündigungsgrund (§ 314) erfolgen. Dies gilt nicht, wenn die Vorenthaltung im Kündigungszeitpunkt noch fortbesteht – vgl Rn 29. Eine Kündigung ist wegen unzulässiger Rechtsausübung gem § 242 ausgeschlossen, wenn der Mieter die rechtzeitige Fertigstellung der Mietsache verzögert (Ddorf ZMR 93, 522); ebenso, wenn der Mieter die fehlende Gebrauchsmöglichkeit verschuldet hat (BGH ZMR 05, 120; NJW 98, 594 gebrauchsbedingter Brand) oder die Mietsache nicht gebrauchen will (Celle ZMR 02, 187).
2. Vertragsverletzungen durch den Mieter gem § 543 II Nr 2.
Rn 13
Entgegen der Gesetzesbegründung (BTDrs 14/4553, 44) wird in II im Unterschied zu § 553 aF nicht mehr jede Vertragsverletzung durch den Mieter erfasst. Der Vermieter hat nur noch in den genannten (früher lediglich beispielhaften) Fällen ein fristloses Kündigungsrecht, wenn der Mieter die Mietsache durch Vernachlässigung der ihm obliegenden Sorgfalt erheblich gefährdet oder diese unbefugt einem Dritten überlässt. Sonstige Vertragsverletzungen fallen unter I. Die beiden Konstellationen in II Nr 2 müssen zudem eine erhebliche Verletzung der Vermieterrechte begründen. Die frühere Rspr, wonach die Fälle in II Nr 2 gesetzliche Beispiele erheblicher Vertragsverletzungen seien (BGH NJW 85, 2527 [BGH 28.11.1984 - VIII ZR 186/83]), ist obsolet, da es...