Rn 56
(1.) Sind beim ArbN in den vergangenen zwei bis drei Jahren krankheitsbedingt Fehlzeiten von jeweils mehr als sechs Wochen/Jahr (BAG NZA 10, 398 [BAG 10.12.2009 - 2 AZR 400/08]) aufgetreten, so ist idR die negative Gesundheitsprognose gerechtfertigt, dass auch in Zukunft mit entspr Fehlzeiten zu rechnen ist, es sei denn, die Krankheit ist ausgeheilt oder beruht auf einmaligen Ereignissen, zB Sportunfall (BAG NZA 15, 612 [BAG 20.11.2014 - 2 AZR 755/13]). Maßgeblicher Prognosezeitpunkt ist der Kündigungszugang (Rn 43). Die Kündigung bleibt wirksam, wenn die negative Gesundheitsprognose später wegfällt (zB nach erfolgreicher Therapie), der ArbN hat jedoch bis zum Ende der Kündigungsfrist uU einen Wiedereinstellungsanspruch (Rn 98 f; BAG BB 01, 1586). Umgekehrt wird eine mangels negativer Gesundheitsprognose unwirksame Kündigung nicht wirksam, wenn krankheitsbedingte Fehlzeiten nach Kündigungszugang die Prognose doch rechtfertigen; der ArbG kann nur erneut kündigen (BAG DB 99, 1861).
Rn 57
(2.) Erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen sind Betriebsablaufstörungen (zB Stillstand von Produktionslinien, Maschinen, ständig wechselnder Schichtplan, Produktionsausfälle, einzuarbeitendes oder nicht beschaffbares Ersatzpersonal, häufige Überstunden des verbleibenden Personals, Verlust von Kundenaufträgen) oder unzumutbare wirtschaftliche Belastungen (mehr als sechs Wochen Entgeltfortzahlung/Jahr in den vergangenen zwei bis drei Jahren, BAG NZA 21, 1551 [BAG 22.07.2021 - 2 AZR 125/21]; 14, 962 [BAG 23.01.2014 - 2 AZR 582/13]).
Rn 58
(3.) Bei der Interessenabwägung sind zu beachten (BAG NZA 08, 593 [BAG 08.11.2007 - 2 AZR 292/06]; iE Lingemann Kündigungsschutz, 152f): das Ausmaß betrieblicher Beeinträchtigung, die wirtschaftliche Lage des Unternehmens, Verschulden des ArbN bei Herbeiführung der Erkrankung oder Verzögerung der Genesung, betriebliche Sicherheitsrisiken, Überdurchschnittlichkeit der Ausfälle (BAG NZA 95, 1051 [BAG 11.08.1994 - 2 AZR 9/94]); zugunsten des ArbN: fortgeschrittenes Alter, lange störungsfreie Betriebszugehörigkeit, erhebliche Unterhaltspflichten (vgl BAG BB 00, 1300, Anm Lingemann BB 00, 1835), betriebliche Krankheitsursachen (BAG DB 2003, 724).
Rn 59
(4.) Der ArbG muss die negative Gesundheitsprognose darlegen, der ArbN dann konkret dartun, weshalb mit baldiger und endgültiger Genesung zu rechnen ist, und ggf die Ärzte von der Schweigepflicht entbinden. Dann muss der ArbG die negative Gesundheitsprognose durch Vernehmung der Ärzte oder durch Sachverständigengutachten beweisen (BAG NZA 08, 593 [BAG 08.11.2007 - 2 AZR 292/06]).