Prof. Dr. Oliver Fehrenbacher
Rn 9
Die entgeltliche Rechtsberatung und Vertretung durch Anwälte (§ 3 I BRAO) kann dienst- (zB Beratung und Prozessvertretung) oder werkvertraglicher (zB Gutachten) Natur sein. Bei diesen typischen anwaltlichen Leistungen werden selbstständig fremde Vermögensinteressen iR einer Geschäftsbesorgung wahrgenommen (zum dienstvertraglichen Charakter, BGH WuM 15, 682 [BGH 24.09.2015 - IX ZR 206/14]). Das Auftragsrecht ist anwendbar (BGH NJW 72, 1044 [BGH 22.02.1972 - VI ZR 135/70]; 96, 842 [BGH 23.11.1995 - IX ZR 225/94]). Das gilt nicht, falls die typische anwaltliche Tätigkeit völlig in den Hintergrund tritt (BGH NJW 92, 681 [BGH 31.10.1991 - IX ZR 303/90]; 01, 1569 [BGH 22.02.2001 - IX ZR 357/99]). An den Vertragsschluss durch schlüssiges Verhalten sind in Zweifelsfällen erhöhte Anforderungen zu stellen (BGH NJW 91, 2084; zum Zustandekommen eines Anwaltsvertrags bei fehlender Deckungszusage, BGH NJW-RR 19, 1076 [BGH 14.02.2019 - IX ZR 203/18]); iÜ gelten die allgemeinen Regeln. Eine besondere Form ist für die Wirksamkeit des Anwaltsvertrags grds nicht erforderlich (beachte: § 4 I RVG). Der Verstoß gegen das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen ist geeignet, die Nichtigkeit des Anwaltsvertrags zu bewirken (BGH NJW 19, 1147 [BGH 10.01.2019 - IX ZR 89/18] Rz 24; zur Nichtigkeit nach §§ 113, 114 AktG, BGH NJW 21, 1311, 1314 [BGH 21.01.2021 - I ZR 207/19]). Anwaltsverträge können den Regeln für den Fernabsatz unterfallen und als solche widerrufen werden (BGH NJW 21, 304 [BGH 19.11.2020 - IX ZR 133/19]; 18, 690 [BGH 23.11.2017 - IX ZR 204/16]).
a) Vertragspflichten.
Rn 10
Der Hauptleistungspflicht zur Ausführung der anwaltlichen Tätigkeit stehen Sorgfalts- und Obhutspflichten zur Seite. Das Mandat ist so auszuführen, dass Rechte, Rechtsgüter und Interessen (§ 241 II) des Mandanten nicht verletzt werden (Offenbarungspflicht bei Beziehungen zum Parteigegner: BGH NJW 08, 1307 [BGH 08.11.2007 - IX ZR 5/06]). Ist Gegenstand des mit einem Anwalt geschlossenen Beratungsvertrags die Beratung für Entscheidungen des Mandanten, hat der Anwaltsvertrag im Allgemeinen keine Schutzwirkungen zugunsten des (gesetzlichen) Vertreters des Mandanten (BGH NJW 16, 3432 [BGH 21.07.2016 - IX ZR 252/15]; die Hinweis- und Warnpflicht des Rechtsberaters bei möglichem Insolvenzgrund kann Drittschutz für den Geschäftsleiter der juristischen Person oder Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit entfalten, BGH NJW 23, 2775). Die Pflichten des Anwalts bestehen grds nur während der Vertragsdauer. Ausnahmsweise kommt bei besonderen Risiken oder Gefahren für den Mandanten eine Hinweispflicht auch für die Zeit nach Beendigung des Mandats in Betracht (BGHZ 94, 380; zu Warnungen und Hinweisen außerhalb des Mandats, BGH NJW 18, 2476). Die Handakten sind nach Erledigung des Zurückbehaltungsrechts bei Mandatsende herauszugeben (BGH NJW-RR 15, 186 [BGH 26.06.2014 - III ZR 299/13]; zur Übertragung des Eigentums an den Mandaten im Falle der Insolvenz des Anwalts, BGH NJW-RR 19, 637 [BGH 07.02.2019 - IX ZR 5/18]; zur allgemeinen Verjährung, BGH NJW 20, 3725 [BGH 15.10.2020 - IX ZR 243/19]).
Rn 11
Die Rechtsberatung muss umfassend und erschöpfend sein (BGH NJW 92, 1159 [BGH 06.02.1992 - IX ZR 95/91]). Maßstab ist das erteilte Mandat (BGH NJW 09, 1589 [BGH 15.01.2009 - IX ZR 166/07] – Vergleich). Wesentlicher Beitrag zur Beratung ist die Aufklärung des Sachverhalts (BGH NJW 98, 2048). Die Aufklärungspflicht bezieht sich auf alle Vorgänge des konkreten Sachverhalts, die geeignet sind, den vom Mandanten gewünschten Erfolg herbeizuführen (BGH NJW 00, 730 [BGH 18.11.1999 - IX ZR 420/97]: Nachfragepflicht; BGH NJW 10, 1961 [BGH 15.04.2010 - IX ZR 223/07]: Versäumter Abschluss einer Scheidungsfolgenvereinbarung; Hinweis auf die Notwendigkeit, einen Steuerberater einzuschalten, BGH NJW 20, 1139 [BGH 09.01.2020 - IX ZR 61/19]). Der Mandant ist seinerseits verpflichtet, seinen Anwalt vollständig und wahrheitsgemäß zu unterrichten (BGH NJW 96, 2929 [BGH 20.06.1996 - IX ZR 106/95]). Auf die Angaben des Mandanten darf sich der Anwalt grds verlassen (BGH NJW 85, 1154 [BGH 15.01.1985 - VI ZR 65/83]; 98, 2048 [BGH 02.04.1998 - IX ZR 107/97]; bei der rechtlichen Beurteilung des Zugangszeitpunkts allerdings BGH NJW 19, 1151 [BGH 14.02.2019 - IX ZR 181/17]). Die Aufklärungs- und Hinweispflicht des Anwalts kann reduziert sein, wenn der Mandant spezielle Vorkenntnisse hat (BGH NJW 98, 1486 [BGH 18.12.1997 - IX ZR 153/96]). An die Rechtskenntnisse eines Anwalts und die rechtliche Prüfung stellt die Rspr hohe (teilweise unrealistische) Anforderungen. Neben der Kenntnis des Gesetzes und der höchstrichterlichen Rspr (BGH NJW 83, 1665 [BGH 29.03.1983 - VI ZR 172/81]; angemessene Frist nach der Veröffentlichung: NJW 79, 877 [BGH 20.12.1978 - IV ZB 115/78]) hat der Anwalt auch Entwicklungen in der Rspr und Lit zu verfolgen (BGH NJW 93, 3323 [BGH 30.09.1993 - IX ZR 211/92]). Letzteres allerdings nur, wenn in dem Bereich erkennbar Änderungen der höchstrichterlichen Rspr zu erwarten sind (BVerfG NJW 13, 52...