Prof. Dr. Eckart Brödermann
aa) Grundfälle.
Rn 31
Die Grundfälle, in denen die sittenwidrige Ausnutzung der Gefühlslage eines krass finanziell überforderten Bürgen vermutet wird (Rn 21 f), betreffen Bürgschaften für dem Hauptschuldner nahestehende Personen. Hierzu gehören insb Bürgschaften des Ehegatten (BGHZ 146, 37 ff; NJW 05, 971), der Verlobten (BGHZ 136, 347, 350), des nichtehelichen Lebenspartners (BGH NJW 00, 1182; 02, 744), der Eltern (BGH NJW 01, 2466, 2467), uU eines Geschwisterteils (BGHZ 137, 329, 334 f; abgelehnt in 140, 395, 399f) oder eines gerade erwachsen gewordenen Kindes (BGHZ 125, 206, 213: hier kommt die Ausnutzung der Verletzung der elterlichen Rücksichtnahmepflicht aus § 1618a hinzu; dazu Schimansky/Bunte/Lwowski/Schmitz/Wassermann/Nobbe § 91 Rz 83; BGH NJW 97, 52, 53 [BGH 10.10.1996 - IX ZR 333/95]). Umfassend zur Wirksamkeit von Bürgschaften naher Angehöriger Beck JA 19, 244–252.
bb) Widerlegung der Vermutung.
Rn 32
Der Gläubiger kann die Vermutung sittenwidriger Ausnutzung der emotionalen Verbundenheit (Rn 22) widerlegen. Er kann über die tatsächlichen Vermögensverhältnisse getäuscht worden sein (iE der einzig verbleibende Rechtfertigungsfall der Nichtkenntnis, vgl BGH NJW 00, 1182, 1183 [BGH 27.01.2000 - IX ZR 198/98] und Nobbe/Kirchhof BKR 01, 5, 10f). Er kann darlegen, dass der Bürge ein hinreichendes eigenes Interesse an der Kreditaufnahme gehabt hat. Dabei muss es sich um einen unmittelbar und ins Gewicht fallenden geldwerten Vorteil aus der Verwendung der Darlehensvaluta handeln (BGHZ 146, 37, 45; WM 1563, 1565). Bsp: Erwerb von Miteigentum an dem aus Kreditmitteln zu erwerbenden Haus (BGHZ 120, 272, 278); gemeinsamer Aufbau eines Hotelbetriebs (trotz fehlender rechtlicher Absicherung: BGH WM 03, 1563, 1565); Finanzierung des zu aufwendigen Lebensstils von Bürge und Hauptschuldner (Nobbe/Kirchhof BKR 01, 5, 12; BGH NJW 99, 135 [BGH 06.10.1998 - XI ZR 244/97]).
Rn 33
Kein hinreichendes eigenes Interesse begründen hingegen mittelbare Vorteile wie zB eine Wohngelegenheit in dem mit dem verbürgten Kredit erbauten Haus (BGH NJW 00, 1182, 1184) oder die Aussicht auf eine höhere Unterhaltsleistung (BGHZ 120, 272, 278). Wenn der Abschluss des Darlehensvertrages nur teilweise im Interesse des Bürgen liegt, ist eine Teilnichtigkeit des Bürgschaftsvertrages nach § 139 in Betracht zu ziehen (BGHZ 146, 37, 47f).
Rn 34
Keine Rechtfertigung für ein wirtschaftlich sinnloses Mithaftungsbegehren des Kreditgebers stellt allein das Ziel dar, Vermögensverschiebungen vorzubeugen (BGHZ 151, 34, 39 ff); anders kann es sein, wenn eine beiderseits erkennbare Absicht zur Vermögensverlagerung hinzukommt (s Nobbe/Kirchhof BKR 01, 5, 11 unter Hinweis auf den Einwand des Rechtsmissbrauchs bis zu einer – im Verhältnis zur Kreditsumme erheblichen (vgl BGH aaO 40) – tatsächlichen Vermögensverlagerung; MüKoBGB/Habersack § 765 Rz 28). Zulässig kann im Einzelfall eine Vertragsgestaltung sein, die die Haftung des Bürgen (mittels pactum de non petendo) auf das dem Bürgen vom Hauptschuldner übertragene Vermögen (MüKoBGB/Habersack aaO) oder auf das bei Fälligkeit des Kredits vorhandene Vermögen (Larenz/Canaris II/2 § 60 II 3b) beschränkt.