Gesetzestext
(1) Wird der Besitz durch verbotene Eigenmacht dem Besitzer entzogen, so kann dieser die Wiedereinräumung des Besitzes von demjenigen verlangen, welcher ihm gegenüber fehlerhaft besitzt.
(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der entzogene Besitz dem gegenwärtigen Besitzer oder dessen Rechtsvorgänger gegenüber fehlerhaft war und in dem letzten Jahre vor der Entziehung erlangt worden ist.
A. Normzweck.
Rn 1
Der Gesetzgeber gibt dem Besitzer neben dem Selbsthilferecht (§ 859) echte Ansprüche aus dem Besitz, die gerichtlich durchsetzbar sind. Grundlage dieser Ansprüche ist der Besitz als solcher (possessorischer Schutz), nicht ein bestimmtes Recht zum Besitz (petitorischer Anspruch). Neben der Regelung in §§ 861, 862 ist dies insb auch dem § 863 zu entnehmen. Hat der Anspruchsgegner eigene Rechte an der Sache, muss er eigenständig Gerichtsschutz suchen (s aber unter Rn 7). In diesem Falle ist der Besitzschutz nur eine vorläufige Regelung. Im Verhältnis von Ehegatten untereinander ist die Spezialregelung (str) des § 1361a zu beachten (§ 1361a Rn 29). Zum Hausrecht s.o. § 858 Rn 1.
B. Voraussetzungen und Inhalt des Anspruchs.
Rn 2
Der Besitz muss dem Besitzer durch verbotene Eigenmacht (§ 858) entzogen worden sein. Ohne Bedeutung ist es, ob der Besitzer vergeblich Selbsthilfe versucht hat oder ob er Selbsthilfe nicht in Anspruch genommen hat. Ist die Besitzentziehung noch nicht vollendet, so gilt § 862. Neben dem Herausgabeanspruch kann auch ein Verfolgungsrecht nach § 867 in Betracht kommen. Der Anspruch ist auf Wiedereinräumung des Besitzes gerichtet, also auf Herausgabe an den früheren Besitzer. Dagegen richtet sich der Anspruch nicht auf Schadensersatz; dieser kann vielmehr nur bei Verschulden des Täters nach § 823 gefordert werden. Mit dem Anspruch kann nur die Herstellung des früheren Besitzes, nicht zugleich die Herstellung des früheren Zustands der Sache verlangt werden. Der Anspruch richtet sich auch nicht auf Surrogate und nicht auf Nutzungen. Ein früherer Mitbesitzer hat nur den Anspruch der Wiedereinräumung des Mitbesitzes.
C. Einwendungen (Abs 2).
Rn 3
Der Beklagte kann zunächst einwenden, dass er keine verbotene Eigenmacht begangen habe (Bestreiten der Anspruchsbegründung). Weiterhin kann er nach II einwenden, dass der Kläger selbst ihm ggü fehlerhaft besessen habe, weil der Kläger vorher gegen ihn verbotene Eigenmacht verübt habe (§§ 861 II, 858 II). Dieser Einwand steht dem Beklagten auch zu, wenn ein Rechtsvorgänger des Klägers die verbotene Eigenmacht verübt hatte oder wenn sie gegen einen Rechtsvorgänger des Beklagten verübt worden war. Schließlich kann der Beklagte nach § 864 das Erlöschen der Besitzansprüche einwenden. Keinen Einwand stellt dagegen ein bestehendes Recht zum Besitz des Beklagten dar, sei es schuldrechtlicher oder dinglicher Natur (§ 863). Zur Widerklage mit petitorischem Inhalt s.u. Rn 7.
D. Durchsetzung des Anspruchs.
I. Berechtigter.
Rn 4
Der Anspruch steht dem früheren unmittelbaren oder mittelbaren (§ 869) Eigen- oder Fremdbesitzer zu, nicht aber dem Besitzdiener. Der Anspruch ist abtretbar und vererblich (BGH NJW 08, 580 [BGH 23.11.2007 - LwZR 5/07]).
II. Verpflichteter.
Rn 5
Der Anspruch richtet sich gegen denjenigen, der derzeit den Besitz innehat und dem Kläger ggü fehlerhaft besitzt. Hat der fehlerhaft Besitzende seinerseits den Besitz verloren, so ist der Anspruch gegen ihn nicht mehr gegeben; er richtet sich nunmehr gegen den neuen Besitzer, falls dieser wiederum fehlerhaft besitzt. Der Anspruch kann sich auch gegen den mittelbaren Besitzer richten; dann ist er jedoch nicht auf Herausgabe gerichtet, sondern auf Verschaffung des mittelbaren Besitzes gem § 870 (Celle NdsRpfl 07, 331).
III. Prozessuale Durchsetzung.
Rn 6
Wird der Anspruch aus § 861 im Wege der Klage geltend gemacht, handelt es sich um eine normale Leistungsklage, mit der in Anspruchskonkurrenz zugleich die Herausgabeansprüche aus §§ 985, 1007, 823 I, 812 geltend gemacht werden können. Wird die Klage auf mehrere Anspruchsgrundlagen gestützt, handelt es sich dennoch um einen einheitlichen Streitgegenstand, nicht um einen Fall der Klagehäufung gem § 260 ZPO. Wird die im Streit befindliche Sache nach Klageerhebung weggegeben, so gelten die §§ 265, 325, 727 ZPO. Die streitbefangene Sache, die herauszugeben ist, muss in der Klageschrift so genau bezeichnet werden, dass eine Vollstreckung möglich ist. Die Beweislast für den früheren Besitz des Klägers und den Entzug des Besitzes durch verbotene Eigenmacht sowie den derzeitigen Besitz des Beklagten trägt der Anspruchsteller. Der Anspruchsgegner muss die Einwendungen nach II sowie das Erlöschen nach § 864 beweisen. Soweit zur Vorbereitung der Klage ein Auskunftsanspruch erforderlich ist, kann der Kläger diesen im Wege der Stufenklage (§ 254 ZPO) erheben. Entspr der Regelung des § 862 I 2 wird allg auch eine vorbeugende Unterlassungsklage gegen einen unmittelbar bevorstehenden Besitzentzug für zulässig erachtet. Soweit die prozessuale Durchsetzung im Wege einer einstweiligen Verfügung versucht wird, sind nach den §§ 935, 938, 940 ZPO an sich nur vorläufige Maßnahmen möglich. Die Rspr hat aber iRd Leistungs- oder Befriedigungsverfügung auch eine ein...