Gesetzestext
(1) 1Lässt sich im Falle einer Grenzverwirrung die richtige Grenze nicht ermitteln, so ist für die Abgrenzung der Besitzstand maßgebend. 2Kann der Besitzstand nicht festgestellt werden, so ist jedem der Grundstücke ein gleich großes Stück der streitigen Fläche zuzuteilen.
(2) Soweit eine diesen Vorschriften entsprechende Bestimmung der Grenze zu einem Ergebnis führt, das mit den ermittelten Umständen, insbesondere mit der feststehenden Größe der Grundstücke, nicht übereinstimmt, ist die Grenze so zu ziehen, wie es unter Berücksichtigung dieser Umstände der Billigkeit entspricht.
Rn 1
Die Vorschrift greift ein, wenn der Verlauf der Grenze zwischen zwei aneinander grenzenden Grundstücken str ist. Das ist nicht schon dann der Fall, wenn die Nachbarn unterschiedliche Ansichten über den Grenzverlauf haben; notwendig ist vielmehr, dass die wirkliche Grenzlinie anhand objektiver Kriterien nicht bestimmt werden kann.
Rn 2
§ 920 kann nicht angewendet werden, soweit und solange die gesetzliche Vermutung des § 891 besteht; die Richtigkeitsvermutung des Grundbuchs erstreckt sich auch auf den sich aus dem Liegenschaftsregister ergebenden Grenzverlauf (BGH WM 06, 540, 541).
Rn 3
Die Vorschrift gibt den Eigentümern der aneinander angrenzenden Grundstücke gegen den jeweils anderen Eigentümer einen dinglichen Grenzscheidungsanspruch. Andere dinglich oder obligatorisch Berechtigte sind weder aktiv noch passiv legitimiert.
Rn 4
Mit der Grenzscheidungsklage muss die Abgrenzung der Grundstücke durch Urt beantragt werden (BGH NJW 67, 37). Unschädlich ist auch der Antrag auf Feststellung eines bestimmten Grenzverlaufs; allerdings darf der Richter in diesem Fall – unter Beachtung von § 308 ZPO – eine andere Grenzlinie bestimmen (BGH NJW 67, 37 [BGH 26.09.1966 - II ZR 56/65]).
Rn 5
Für die gerichtliche Entscheidung ist in erster Linie der Besitzstand zur Zeit des Urteilserlasses maßgebend, wenn der wirkliche Grenzverlauf nicht festgestellt werden kann (I 1). Hat einer der Eigentümer den Besitz an der Grundstücksfläche durch verbotene Eigenmacht (§ 858) erlangt, ist der frühere Besitzstand maßgebend. Auch in einem solchen Fall kommt es jedoch auf den Besitzstand zur Zeit des Urteilserlasses an, wenn eine Besitzklage durch Zeitablauf (§ 864) ausgeschlossen wäre.
Rn 6
Kann ein Besitzstand nicht festgestellt werden, sind also die Eigentums- und Besitzverhältnisse an der streitigen Fläche nicht aufzuklären, wird jedem Grundstück ein gleich großes Stück der Fläche zugeteilt (I 2). Auf den Wert der beiden Teile kommt es nicht an.
Rn 7
Nach II ist die nach Besitzstand (Rn 5) oder nach hälftiger Teilung (Rn 6) vorgenommene Grenzziehung darauf zu überprüfen, ob sie unter Berücksichtigung aller ermittelten Umstände der Billigkeit entspricht. Als einen solchen Umstand nennt das Gesetz beispielhaft die feststehende Größe der Grundstücke. Darunter ist der tatsächliche Flächeninhalt und nicht die sich aus dem Grundbuch oder aus dem Liegenschaftskataster ergebende Größe zu verstehen (BGH WM 69, 563). Haben die aneinander angrenzenden Grundstücke eine unterschiedliche Größe, entspricht nicht allein die proportionale Aufteilung der streitigen Fläche der Billigkeit. Vielmehr können auch natürliche Gegebenheiten wie ein Bach, eine Hecke oder ein Erdwall den Grenzverlauf bestimmen.
Rn 8
Das Urt, in welchem der Grenzverlauf konkret beschrieben werden muss, hat konstitutive Wirkung; es weist damit den Parteien unmittelbar das Eigentum an dem auf ihr Grundstück entfallenden Teil der streitigen Fläche zu. Es dient zur Berichtigung des Grundbuchs nach § 22 GBO.
Rn 9
Statt durch gerichtliche Entscheidung können die Eigentümer die Grenzverwirrung durch einen Grenzfeststellungsvertrag beseitigen. Soll er lediglich eine bestehende Ungewissheit über den Grenzverlauf beseitigen, ist der Vertrag formlos wirksam. Meint jedoch einer der Eigentümer, er übereigne ein ihm gehörendes Teilstück oder er erwerbe ein ihm nicht gehörendes Teilstück, bedarf der Vertrag der Beurkundung (§ 311b I). Der Vertrag hat, wie das Gestaltungsurteil (Rn 8), konstitutive Wirkung.