Rn 11
Während sich die Ehemündigkeit grds nach I richtet (Rn 4) trifft III eine Sonderregelung für Minderjährigenehen (›Kinderehen‹). Er korrigiert die Anwendung ausl Rechts und greift dann ein, wenn die Ehemündigkeit eines Verlobten nach I ausl Recht unterliegt. Für gleichgeschlechtliche Ehen gilt die Vorschrift entspr (Art 17b V 1). Die Anwendung dieser schon bei ihrer Entstehung kontroversen Regelung stößt auf vielfältige Bedenken wegen Verstößen gegen vorrangiges EU-Recht für die in einem EU-Mitgliedstaat wirksam geschlossene Ehe (Freizügigkeit nach Art 21 AEUV, Arbeitnehmerfreizügigkeit gem Art 45 III lit b, c AEUV, Anerkennungsprinzip [Wall StAZ 19, 331 ff]; vgl Art 3 Rn 20), das GG sowie bei der Anwendung des Aufhebungsrechts (§§ 1313 ff BGB), s Coester-Waltjen IPRax 19, 127 ff.
Rn 12
Hatte der Verlobte im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr nicht vollendet, so ist die Ehe nach deutschem Recht unwirksam (III Nr 1 iVm § 1303 S 2 BGB), dh eine Nichtehe (BTDrs 18/12086 S 15; Hüßtege FamRZ 17, 1374, 1376; aA Majer NZFam 17, 537, 539). Das gilt auch, wenn beide Eheschließenden Ausländer sind (VG Berlin StAZ 18, 285). Der BGH hält die gesetzliche Anordnung der Unwirksamkeit der von einem noch nicht 16-Jährigen nach ausl Recht wirksam geschlossenen Ehe für unvereinbar mit Art 1, 2 I, 3 I u Art 6 I 1 GG. Die Wirksamkeit der Ehe wird generell versagt u erfasst auch vor dem 22.7.17 (Inkrafttreten des Gesetzes gegen Kinderehen) nach ausl Recht wirksam geschlossene Ehen, die zuvor nach deutschem Recht wirksam u nur aufhebbar waren (BGH FamRZ 19, 181 Anm Hettich u Dutta sowie m zust Aufs Coester-Waltjen IPRax 19, 127; ebenso MüKo/Winkler von Mohrenfels Rz 39). Das BVerfG hat festgestellt, dass Art 13 III Nr 1 – vorbehaltlich der Ausn nach Art 229 § 33 IV – mit Art 6 I GG unvereinbar ist. Allerdings gilt Art 13 III Nr 1 bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung, längstens jedoch bis zum 30.6.24, aufgrund einer richterrechtlichen Übergangsregelung fort. In der Übergangszeit ist § 1318 BGB iVm §§ 1569 ff BGB über die unterhaltsrechtlichen Folgen der Aufhebung einer Ehe entspr anzuwenden. Dabei kommt es auf die Dauer des Zusammenlebens an. Während der Dauer des Zusammenlebens gelten für die Unterhaltsansprüche der Betroffenen übergangsweise die §§ 1360, 1360a BGB entspr (BVerfG FamRZ 23, 837 Anm Rupp m Aufs Coester-Waltjen IPRax 23, 350).
Rn 13
Hatte der Verlobte im Zeitpunkt der Eheschließung das 16., aber nicht das 18. Lebensjahr vollendet, so ist die Ehe nach deutschem Recht aufhebbar (III Nr 2 iVm §§ 1313, 1314 I Nr 1 BGB). Erforderlich ist ein Aufhebungsverfahren nach deutschem Recht (Hüßtege FamRZ 17, 1374, 1379; zum Aufhebungsantrag s § 1316 III 2 BGB). Nach deutschem Recht kann eine der Aufhebung entgegenstehende ›schwere Härte‹ nach § 1315 I Nr 1 lit b BGB geltend gemacht werden, für die vielfach auch die Unionsrechts- u Verfassungswidrigkeit herangezogen werden (Oldbg StAZ 18, 222; Frankf FamRZ 19, 1853 Anm Kleinjohann = FamRB 19, 425 zust Anm Erbarth = NZFam 19, 1021 Anm Majer; AG Frankenthal FamRZ 18, 749 m Anm Löhnig). In verfasungskonformer Auslegung wird dem FamG iRd § 1314 I Nr 1 BGB ein Ermessen zuerkannt (BGH FamRZ 20, 1533 Anm Antomo m Aufs Andrae IPRax 21, 522 Rz 42 – zur Zuständigkeit Art 3 Brüssel IIb-VO, §§ 98, 122 FamFG).
Rn 14
In die Wirksamkeit der Ehe wird nicht allg, sondern nur für das deutsche Recht eingegriffen (zum Asylrecht s § 26, 73 AsylG, zum Aufenthaltsrecht s § 30, 31 AufenthG). Gleichwohl drohen hinkende Ehen, uU auch Doppelehen. III kommt auch dann zur Anwendung, wenn sich die Wirksamkeit der Ehe als Vorfrage stellt. Art 12 Genfer Flüchtlingsabk ist vorrangig anzuwenden. Art 13 III hat Vorrang vor dem ordre public des Art 6 (danach wurde eine syrische Kinderehe hingenommen von Bambg FamRZ 16, 1270 Anm Mankowski = NZFam 16, 807 Anm Hilbig-Lugani = StAZ 16, 270 m Aufs Coester, 257). Übergangsvorschrift ist Art 229 § 44 IV EGBGB.
Art 229 BGB § 44 EGBGB Übergangsvorschrift zum Gesetz zum Internationalen Güterrecht und zur Änderung von Vorschriften des Internationalen Privatrechts vom 17.12.18
(4) Artikel 13 Absatz 3 Nummer 1 gilt nicht, wenn
1. |
der minderjährige Ehegatte vor dem 22. Juli 1999 geboren worden ist, oder |
2. |
die nach ausländischem Recht wirksame Ehe bis zur Volljährigkeit des minderjährigen Ehegatten geführt worden ist und kein Ehegatte seit der Eheschließung bis zur Volljährigkeit des minderjährigen Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte. |
Rn 15
Diese Übergangsvorschrift, welche bestimmte Ehen unberührt lässt, ist in Wahrheit eine allgemein geltende Kollisionsnorm (Makowsky RabelsZ 83 [19], 577, 588f). Danach ›gilt‹ die Regelung über die Unwirksamkeit der Ehe (Art 13 III Nr 1) nicht, wenn der minderjährige Ehegatte vor dem 22.7.1999 geboren worden ist (Art 229 § 44 IV Nr 1), also bei Inkrafttreten des neuen Rechts bereits volljährig war (Frankf FamRZ 19, 1530). Damit wird eine Rückwirkung auf bestimmte Altfälle ausgeschloss...