Leitsatz
Gegenstand des Verfahrens war die Regelung der elterlichen Sorge für ein im September 2006 geborenes Kind, das ein Schütteltrauma und lebensbedrohliche Verletzungen erlitten hatte, die auf Kindesmisshandlung im Elternhaus hindeuteten. Den Eltern wurde durch einstweilige Anordnung das Personensorgerecht entzogen und auf das Jugendamt übertragen. Seit seiner Entlassung aus dem Krankenhaus im Dezember 2006 befand sich das Kind in der Obhut einer Pflegefamilie und wurde dort von der Kindesmutter, die sich von dem Kindesvater getrennt hatte, in der Regel samstags für zwei bis drei Stunden besucht.
Durch Beschluss vom 31.10.2007 hat das FamG die einstweilige Anordnung hinsichtlich des Vaters aufrechterhalten und die Mutter die elterliche Sorge zurückübertragen. Ihr wurde aufgegeben, sozialpädagogische Familienhilfe anzunehmen. Der Antrag des Jugendamtes, das Verbleiben des Kindes bei den Pflegeeltern anzuordnen, wurde zurückgewiesen.
Gegen diese Entscheidung wandten sich die Verfahrenspflegerin des Kindes und das Jugendamt mit der Beschwerde. Die Rechtsmittel führten zur Anordnung des Verbleibs des Kindes bei den Pflegeeltern. Soweit sie sich gegen die Rückübertragung der elterlichen Sorge auf die Kindesmutter richteten, hatten die Rechtsmittel keinen Erfolg.
Sachverhalt
Siehe Kurzzusammenfassung
Entscheidung
Nach Auffassung des OLG war nicht festzustellen, dass das körperliche, geistige oder seelische Wohl des betroffenen Kindes oder sein Vermögen durch die Mutter soweit gefährdet würde, dass der Entzug des elterlichen Sorgerechts nach den §§ 1666, 1666a BGB gerechtfertigt werden könnte. Es sei ungeklärt geblieben, wie es zu den schwerwiegenden Verletzungen des Kindes im elterlichen Haushalt gekommen sei. Das OLG ging davon aus, dass die Mutter hierfür zumindest eine Mitverantwortung treffe, sei es auch deshalb, weil sie Verletzungshandlungen des Vaters keinen Einhalt geboten oder nicht zu einem früheren Zeitpunkt gesundheitliche Fürsorgemaßnahmen veranlasst habe. Solches Versagen könne sich heute nicht mehr zu ihrem Nachteil auswirken, da nichts dafür spreche, dass es in Zukunft bei ihr noch zu Misshandlungen oder ähnlich schwerwiegenden Gefährdungen des Kindeswohls kommen könne. Auch nach den vom Gericht eingeholten Gutachten des Sachverständigen könnten wesentliche Einschränkung der Erziehungsfähigkeit der Mutter nicht festgestellt werden.
Gleichwohl bedürfe es im Gegensatz zur erstinstanzlichen Entscheidung der Anordnung des Verbleibs des Kindes bei den Pflegeeltern. Das Wohl des Kindes könne nach seinen derzeitigen Befindlichkeiten im Falle der Herausnahme aus dem Haushalt der Pflegeeltern gefährdet sein. Bei dieser Entscheidung sei nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. BVerfG FamRZ 2005, 783 f. m.w.N.). Dem Elternrecht der Antragsgegnerin aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, der Grundrechtsposition des Kindes aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG und auch dem Grundrecht der Pflegefamilie aus Art. 6 Abs. 1 GG sei Rechnung zu tragen und zu berücksichtigen, dass mit der Trennung von der unmittelbaren Bezugsperson regelmäßig verbundene psychische Belastungen des Kindes allein keinen ausreichenden Grund für die Verweigerung der Herausgabe böten. Anderenfalls wäre die Zusammenführung von Eltern und Kind immer dann auszuschließen, wenn das Kind seine "sozialen" Eltern gefunden hätte.
Nach den fundierten und überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen würde eine Trennung des betroffenen Kindes von seinen Pflegeeltern zu tief greifenden psychischen Beeinträchtigungen führen. Dies sei darauf zurückzuführen, dass das Kind schon im frühen Säuglingsstadium in die Obhut seiner Pflegefamilie überführt worden sei. Über die alltäglichen Erfahrungen, die es mit der Familie gemacht habe, sei eine seelisch-geistige Kind-Eltern-Beziehung entstanden, die sich in ihrem Wesen von der seelisch-geistigen Bindung an leibliche Eltern nicht unterscheide. In der Konsequenz dieser Entwicklung seien die Pflegeeltern im Erleben des Kindes seine sozialen und auch "faktischen" Eltern geworden, zu denen es sichere Bindungen aufgebaut habe. Dem Erhalt dieser Bindungen sei höchste Priorität einzuräumen.
Die Verbleibensanordnung werde in einem angemessenen Zeitabschnitt überprüft werden müssen. Dabei werde insbesondere darauf zu achten sein, ob und inwieweit das Kind die Bedeutung seiner leiblichen Mutter zu erkennen imstande sei und ob die Kindesmutter den mit einem Obhutswechsel verbundenen Gefahren für das seelische Wohlergehen des Kindes genügend entgegenzuwirken vermöge.
Link zur Entscheidung
OLG Köln, Beschluss vom 06.11.2008, 10 UF 214/07