Entscheidungsstichwort (Thema)
Aktiengesellschaft. Anfechtung eines Generalversammlungsbeschlusses
Leitsatz (amtlich)
1. Hat ein Verstoß gegen die Vorschrift des § 274 Abs. 2 H.G.B. über den Inhalt, den die Ankündigung einer beabsichtigen Statutenänderung in der Berufung der Generalversammlung einer Aktiengesellschaft haben soll, im Falle der Anfechtung des Statutenänderungsbeschlusses durch einen Aktionär die Nichtigkeit des Beschlusses zur Folge?
2. Genügt für eine solche Ankündigung die Angabe des Inhalts derjenigen Paragraphen der Statuten, deren Änderung beabsichtigt wird, oder muß sich aus der Ankündigung der Inhalt der Änderung selbst ergeben?
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Vorstand und der Aufsichtsrat der verklagten Gesellschaft hatten durch den Deutschen Reichsanzeiger vom 10. November 1906 die Aktionäre zu einer außerordentlichen Generalversammlung auf den 30. November 1906 eingeladen. Die Ankündigung der Tagesordnung lautete wörtlich:
„Statutenänderungen. Vorstand und Aufsichtsrat beantragen die §§ 8–10 und 16 (betr. Aufstellung der Jahresbilanz und Remuneration des Aufsichtsrats) abzuändern.”
In der Generalversammlung wurden die Anträge betreffend die Statutenänderung angenommen. Diese Beschlüsse focht der in der Versammlung nicht erschienene Kläger auf Grund der §§ 271 flg. H.G.B. an, indem er beantragte, sie für nichtig zu erklären.
Die Anfechtungsklage wurde darauf gestützt, daß „die Ankündigung des Gegenstandes der Beschlußfassung nicht gehörig erfolgt sei” (§ 271 H.G.B.), da die beabsichtigte Änderung der Statuten in der Ankündigung nicht ihrem wesentlichen Inhalte nach erkennbar gemacht gewesen sei, die Ankündigung somit den Erfordernissen des § 274 H.G.B. nicht entsprochen habe.
In den Vorinstanzen wurde die Klage abgewiesen. Auf Revision des Klägers hob das Reichsgericht das Urteil des Oberlandesgerichts auf und erklärte nach dem Klagantrage die Generalversammlungsbeschlüsse, soweit sie Statutenänderungen enthielten, für nichtig, aus folgenden
Entscheidungsgründe
… „Mit dem Oberlandesgerichte ist davon auszugehen, daß § 274 Abs. 2 H.G.B. nich lediglich eine Ordnungsvorschrift enthält, daß vielmehr eine Verletzung des Paragraphen, wenn er auch seinem Wortlaute nach nur vorschreibt, welchen Inhalt die nach § 256 Abs. 1 und 2 H.G.B. zu bewirkende Ankündigung der Tagesordnung für die Generalversammlung einer Aktiengesellschaft haben soll, doch die Anfechtbarkeit nach § 271 Abs. 2 und demnach eintretendenfalls die Nichtigkeit (§ 273 Abs. 1) der betreffenden Beschlüsse zur Folge hat. Das ergibt die ausdrückliche Verweisung in § 271 Abs. 3 auf den Fall der dem Gesetze nicht entsprechenden Ankündigung, wird auch von der überwiegenden Mehrzahl der Kommentatoren angenommen.
Zur Sache beruht die abweisende Entscheidung des Oberlandesgerichts auf der Annahme, daß die vorliegende Ankündigung, welche in dem betreffenden Teile besagt: „Vorstand und Aufsichtsrat beantragen, die §§ 8–10 und 16 (betreffend Aufstellung der Jahresbilanz und Remuneration des Aufsichtsrats) abzuändern”, nach der Vorschrift des § 274 Abs. 2 als genügend zu erachten sei. Dem kann nicht beigepflichtet werden. Die fragliche Bestimmung geht dahin, daß in der nach § 256 Abs. 1 und 2 zu bewirkenden Ankündigung die beabsichtigte Änderung des Gesellschaftsvertrages nach ihrem wesentlichen Inhalt erkennbar gemacht werden soll. Danach ergibt sich, daß, wenn auch nicht die beabsichtigten Änderungen selbst angegeben zu werden brauchen, doch mitgeteilt werden muß, in welcher Beziehung und in welcher Stiftung die Statuten geändert werden sollen. Dem entspricht aber die vorliegende Ankündigung nicht; denn sie enthält lediglich die Inhaltsangabe der zu ändernden Paragraphen. Was daran geändert werden soll, ob insbesondere eine Erhöhung, oder eine Verminderung, oder eine andere Bestimmung der Voraussetzungen des Remunerationsanspruchs des Aufsichtsrats in Aussicht genommen war, konnte aus der Ankündigung nicht ersehen werden.
Wenn das Oberlandesgericht zur Begründung seiner Ansicht angeführt hat, daß Ankündigungen mit einem Inhalte wie dem vorliegenden dem Zwecke des Gesetzes, die Aktionäre hinreichend über den Gegenstand der in Aussicht genommenen Beschlußfassung zu orientieren, genügten, so ist demgegenüber darauf zu verweisen, daß für die Auflegung eines Gesetzes dessen Zweck jedenfalls dann nicht entscheidend sein kann, wenn der Wortlaut in unzweideutiger Weise eine über diesen Zweck hinausgehende Tragweite ergibt. Es kann aber auch nicht zugegeben werden, daß der Zweck der Vorschrift so eng begrenzt sei, wie das Oberlandesgericht annimmt. In der Denkschrift zu dem Entwurf eines Handelsgesetzbuchs wird zur Begründung der in Frage stehenden Vorschrift ausgeführt (S. 165), es sei erforderlich, daß der Inhalt der beabsichtigten Änderung des Gesellschaftsvertrages bei der Berufung der Generalversammlung so deutlich und vollständig bezeichnet werde, daß jeder Aktionär daraus mit Bestimmtheit entnehmen könne, um was es sich bei der...