Entscheidungsstichwort (Thema)

Eingriffe in das elterliche Sorgerecht müssen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Übermaßverbot (§ 1666a BGB) Rechnung tragen

 

Leitsatz (amtlich)

In kindschaftsrechtlichen Eilverfahren müssen Eingriffe in das elterliche Sorgerecht in einer Einzelfall bezogenen Abwägung in besonderem Maße dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Übermaßverbot (§ 1666a BGB) Rechnung tragen. Eine Trennung des Kindes von dem sorgeberechtigten Elternteil darf nur dann erfolgen, wenn das Fehlverhalten ein solches Ausmaß erreicht, dass das Kind in seinem körperlichen, geistigen und seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist und dieser Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann.

 

Normenkette

BGB §§ 1666, 1666a

 

Verfahrensgang

AG Homburg (Beschluss vom 15.06.2007; Aktenzeichen 17 F 93/07 SO)

 

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde der Kindesmutter wird der Beschluss des AG - FamG - in Homburg vom 15.6.2007 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 23.7.2007 - 17 F 93/07 SO- aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens - an das AG - FamG - in Homburg zurückverwiesen.

II. Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben.

III. Beschwerdewert: 500 EUR.

IV. Der Antrag der Kindesmutter, ihr Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen, wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Der am. Januar 2005 geborene, heute 2-jährige L. D. ist der außerhalb einer Ehe geborene Sohn der allein sorgeberechtigten Kindesmutter und des Kindesvaters, welcher die Vaterschaft in einer Jugendamtsurkunde vom 22.3.2005 anerkannt hat.

Aufgrund einer Gefährdungsmitteilung des Kreisjugendamtes vom 29.5.2007 hat das FamG durch den angefochtenen Beschluss in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 23.7.2007 nach vorausgegangener mündlicher Verhandlung der Kindesmutter durch einstweilige Anordnung bis zur Entscheidung über das Sorgerecht für das Kind die elterliche Sorge entzogen und das Kreisjugendamt des Saarpfalz-Kreises zum Vormund bestellt.

Das Kind ist auf Veranlassung des Kreisjugendamtes derzeit in einer Pflegefamilie untergebracht.

Gegen die einstweilige Anordnung des FamG richtet sich die zum Senat eingelegte sofortige Beschwerde der Kindesmutter, welche die Aufhebung des Beschlusses begehrt und um Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren nachsucht.

Der Kindesvater und die Verfahrenspflegerin des Kindes erachten den angefochtenen Beschluss für sachgerecht.

Das Kreisjugendamt, dem mit Verfügung vom 9.7.2007 eine Frist zur Stellungnahme binnen zwei Wochen gesetzt worden war, hat unter Hinweis auf den Jahresurlaub der Sachbearbeiterin eine "Sachstandsmitteilung" für Mitte September 2007 in Aussicht gestellt.

II. Die gem. §§ 621g, 620c Satz 1, 620 Nr. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde der Kindesmutter hat einen vorläufigen Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses sowie zur Zurückverweisung der Sache an das FamG.

Der angefochtene Beschluss ist nicht in einem ordnungsgemäßen Verfahren zustande gekommen. Insbesondere fehlt es an der gebotenen Beteiligung und Anhörung (§ 50a FGG) des Kindesvaters. Dieser ist zwar im Rubrum des angefochtenen Beschlusses als Verfahrensbeteiligter aufgeführt, aktenersichtlich haben sich die Verfahrensbevollmächtigten des Kindesvaters jedoch erst in einem am 20.6.2007, d.h. nach Erlass des angefochtenen Beschlusses eingegangenen Schriftsatz für diesen bestellt. Zum Termin vom 4.6.2007 war der Kindesvater weder geladen noch erschienen.

Dass das FamG im Wege der einstweiligen Anordnung auf der Grundlage des von ihm festgestellten Verhaltens der Kindesmutter dieser das Sorgerecht in vollem Umfang entzogen und Vormundschaft angeordnet hat, lässt nicht erkennen, ob das insoweit gegebene Ermessen (vgl. hierzu: Schneider in Rahm/Künkel, Handbuch des Familiengerichtsverfahrens, III B, Rz. 397 m.w.N.) ausgeübt worden ist.

Auch - und gerade - in Eilverfahren ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Gebot des mildesten Eingriffs zu beachten (BVerfG v. 21.6.2002 - 1 BvR 605/02, FamRZ 2002, 1021, 1023; ferner: Gießler, vorläufiger Rechtsschutz in Ehe-, Familien- und Kindschaftssachen, 2. Aufl., Rz. 110, 998 m.w.N.). Diese Prinzipien beanspruchen namentlich dann Geltung, wenn die erwogene Maßnahme - wie hier - eine Trennung des Kindes von seiner bisherigen Bezugsperson zur Folge hat (vgl. hierzu: Schneider in Rahm/Künkel, Handbuch des Familiengerichtsverfahrens, III B, Rz. 397 m.w.N.).

Auch wenn das FamG - allerdings ohne hinreichende Begründung - zu dem Ergebnis gelangt ist, eine Eingriffe in das Sorgerecht rechtfertigende Gefährdung des Kindeswohls läge vor, hätte es die in Betracht kommenden Maßnahmen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, des geringsten Eingriffs oder des Übermaßverbotes (§ 1666a BGB) fallbezogen gegeneinander abwägen müssen.

So wäre vorlieg...

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