Leitsatz (amtlich)
Dem Betreiber eines sozialen Netzwerks, der nach erfolgter Sperrung dazu aufgefordert wurde, das Nutzerkonto wiederherzustellen, alle Daten zu speichern und eine endgültige und unwiderrufliche Löschung des Kontos zu unterlassen, steht angesichts des Umstandes, dass es sich dabei um einen Anspruch handelt, dessen Berechtigung einer Überlegung bedarf, nach Treu und Glauben eine angemessene Prüffrist zu, vor deren Ablauf Verzug nicht eintritt und auch die Beantragung einer entsprechenden einstweiligen Verfügung nicht veranlasst ist.
Normenkette
ZPO §§ 91a, 93
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Beschluss vom 29.08.2022; Aktenzeichen 4 O 218/22) |
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 29. August 2022 - 4 O 218/22 - dahin abgeändert, dass die Kosten des Verfahrens der Antragstellerin auferlegt werden.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Antragstellerin zur Last.
Gründe
I. Die Antragstellerin hat von der Antragsgegnerin, der für Europa zuständigen Anbieterin und Vertragspartnerin der Nutzer eines von der Muttergesellschaft der Antragsgegnerin betriebenen sozialen Netzwerks, im Wege der einstweiligen Verfügung die Unterlassung der Löschung ihres zwischenzeitlich deaktivierten Nutzerkontos bei "www.facebook.com" sowie der dazu gespeicherten Daten begehrt. Sie nutzt die Dienste der Antragsgegnerin und ist dort mit der E-Mail-Adresse@web.de angemeldet. Die Antragsgegnerin hat in sog. "Gemeinschaftsstandards" u.a. Regelungen zur Sperrung und Deaktivierung von Nutzerkonten bei Verstößen aufgestellt und sich in ihren Nutzungsbedingungen unter bestimmten Voraussetzungen ein Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund vorbehalten (im Einzelnen: Anlagen K42, K43). Die Informationen eines im Facebook-Dienst deaktivierten Kontos werden nach einer bestimmten Zeit dauerhaft und unwiderruflich gelöscht. Sobald der Löschvorgang eingeleitet wird, kann dieser nur noch innerhalb von 90 Tagen gestoppt werden. Der Löschvorgang wird nicht unmittelbar nach einer Kontodeaktivierung automatisch aktiviert. Die Daten werden zunächst für einen bestimmten Zeitraum aufbewahrt, um im Falle eines Einspruchs seine Wiederherstellung des Kontos vornehmen zu können. Nicht jedes deaktivierte Nutzerkonto wird automatisch nach sechs Monaten gelöscht.
Am 27. Mai 2022 wurde das Nutzerkonto der Antragstellerin deaktiviert; sie erhielt eine Nachricht, dass sie "Facebook oder den Messenger nicht verwenden" könne, das damit verknüpfte Instagram-Konto "" sei deaktiviert worden, weil die dortigen Aktivitäten gegen die Gemeinschaftsrichtlinien von Instagram oder andere Standards verstießen, und wenn sie der Meinung sei, dass die Konten fälschlicherweise deaktiviert worden seien, könne sie auf Instagram eine Überprüfung der Entscheidung beantragen (Bl. 15 GA). Die Antragstellerin war vor der Deaktivierung nicht angehört oder über die beabsichtigte Kontodeaktivierung informiert worden; durch die Kontodeaktivierung hatte sie keinen Zugriff mehr auf die auf dem Konto hinterlegten Daten (Bilder, Texte und Verknüpfungen zu "Facebook-Freunden"). Nach einem Versuch, die Antragsgegnerin selbst zur Wiederherstellung des Nutzerkontos zu bewegen, ließ sie diese mit anwaltlichem Schreiben vom 9. Juni 2022 unter Fristsetzung auf den 16. Juni 2022 auffordern, das Nutzerkonto wiederherzustellen, sich schriftlich dazu zu verpflichten, das Nutzerkonto und alle kontenspezifischen Daten/Inhalte zu speichern und es zu unterlassen, eine endgültige und unwiderrufliche Löschung des Kontos vorzunehmen, alle Lösch- und Sperrvermerke zu beseitigen, sich schriftlich bei Meidung einer Vertragsstrafe zur Unterlassung weiterer Sperrungen oder Deaktivierungen zu verpflichten und die Klägerin von Rechtsanwaltskosten für dieses Schreiben sowie für die Einholung einer Deckungszusage beim Rechtsschutzversicherer freizustellen (Anlage K13). Hierauf reagierte die Antragsgegnerin nicht.
Die Antragstellerin hat die Deaktivierung ihres Nutzerkontos für rechtswidrig gehalten und mit ihrem am 20. Juni 2022 zum Landgericht eingereichten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt, anzuordnen, dass es die Antragsgegnerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu unterlassen habe, ihr am 27. Mai 2022 deaktiviertes Nutzerkonto auf www.facebook.com und die dazu gespeicherten Daten endgültig und unwiderruflich zu löschen, hilfsweise anzuordnen, dass es die Antragsgegnerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu unterlassen habe, das am 27. Mai 2022 deaktivierte Nutzerkonto der Antragstellerin und die dazu gespeicherten Daten endgültig und unwiderruflich mit der Folge zu löschen, dass der Antragsgegnerin eine Wiederherstellung des streitgegenständlichen Nutzerkontos, wie es zum Zeitpunkt der vorangegangenen Deaktivierung bestand, sowie nähere Angaben über die Gründe der vorhergehenden Deaktivierung des Kontos unmöglich seien (Bl. 1 ff. GA). Die Antragsgegnerin hat im...