Leitsatz (amtlich)
1. Ein "Thermofenster", bei dem die AGR bei einer Außentemperatur zwischen 24°C bis +70°C zu 100 % wirksam ist, erfüllt die Voraussetzungen einer Abschalteinrichtung i. S. von Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) 715/2007 nicht.
2. Kein Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV gegen die Fahrzeugherstellerin wegen einer Fahrkurvenerkennung in einem Fahrzeug mit einem EA 288-Motor (hier: VW Golf VII Variant 1,6 TDI Euro 6), da sich die Herstellerin jedenfalls in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befand und es damit an einem Verschulden mangelt.
3. Von einer sog. hypothetischen Genehmigung kann ausgegangen werden, wenn das KBA bei einer Nachfrage der Herstellerin zum Zeitpunkt des maßgeblichen Fahrzeugerwerbs deren Rechtsauffassung bestätigt hätte, dass die Verwendung einer Fahrkurvenerkennung, die auf die Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte keinen Einfluss hat, nicht als unzulässige Abschalteinrichtung anzusehen sei.
4. Steht ein Software-Update zur Verfügung, welches die Fahrkurvenerkennung entfernt, lässt dieses einen etwaigen in der Gefahr der Stilllegung bzw. Betriebsbeschränkung begründeten Differenzschaden nachträglich vollständig entfallen.
Normenkette
BGB §§ 31, 249, 823 Abs. 2, § 826; EG-FGV §§ 6, 27
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Urteil vom 28.01.2022; Aktenzeichen 12 O 284/21) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das am 28. Januar 2022 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken - 12 O 284/21 - wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Dieses Urteil sowie das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
5. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf bis 13.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Beklagte als Herstellerin ihres Fahrzeugs auf Schadensersatz wegen der nach ihren Behauptungen erfolgten Verwendung von unzulässigen Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in Anspruch.
Die Klägerin erwarb im September 2016 von einem Händler ein erstmals am 21. Mai 2015 zugelassenes Fahrzeug der Marke VW Golf VII Variant 1,6 TDI bei einem Kilometerstand von 22.207 km zu einem Preis von 20.800 EUR. Das - von einem Rückruf nicht betroffene - Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor EA288 der Abgasnorm Euro 6 ausgestattet und verfügt über einen NOx-Speicherkatalysator (NSK). Die Klägerin veräußerte das Fahrzeug am 23. April 2020 bei einem Kilometerstand von 93.610 km zu einem Preis von 12.500 EUR.
Die Klägerin hat die Beklagte erstinstanzlich gestützt auf deliktische Ansprüche mit der Behauptung, ihr Fahrzeug sei mit unzulässigen Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung ("Thermofenster" sowie "Fahrkurvenerkennung") ausgestattet, auf Erstattung des im Wege des Vorteilsausgleichs (für die erfolgte Veräußerung und die gezogenen Nutzungen) reduzierten Kaufpreises in Anspruch genommen. Darüber hinaus hat sie beantragt, die Beklagte zu verurteilen, sie von den durch die Beauftragung ihrer Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.127,53 EUR freizustellen.
Die Beklagte ist der Klage entgegentreten und hat die Verwendung von unzulässigen Abschalteinrichtungen bei dem Fahrzeug bestritten. Sie hat vorgetragen, bei dem in dem streitgegenständlichen Motor zur Anwendung kommenden "Thermofenster" handele es sich bereits nicht um eine Abschalteinrichtung i. S. von Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007, was sich daraus ergebe, dass die Abgasrückführung bei einer Außentemperatur zwischen -24° C und +70° C zu 100 % aktiv sei und erst außerhalb dieses Temperaturbereichs aus Motorschutzgründen und zur Gewährleistung eines sicheren Betriebs des Fahrzeugs nicht mehr stattfinde. Die bei dem Fahrzeug vorliegende Fahrkurvenerkennung werde nicht dazu genutzt, die gesetzlich vorgeschriebenen NOx-Emissionsgrenzwerte einzuhalten, weshalb es auch insoweit an einer notwendigen Voraussetzung einer unzulässigen Abschalteinrichtung fehle.
Mit dem angefochtenen Urteil (GA 401 ff.), auf dessen tatsächliche Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Klage abgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr erstinstanzliches Klagebegehren unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens weiterverfolgt, hilfsweise einen Anspruch auf Ersatz des sog. Differenzschadens geltend macht und zusätzlich die Feststellung erreichen will, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr Schadensersatz für die von ihr behauptete Manipulation des Fahrzeugs zu leisten.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 28. Januar 2022 - 12 O 284/21 - aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts zurückzuverweisen,
hilfsweise unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Saarbrücken vom 28. Januar 2022 - 12 O 284/21 -
1. die Bekla...