Leitsatz (amtlich)

1. Ob ein als sog. "Doppelbelehrung" erteilter Hinweis auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung den formalen Anforderungen an die "gesonderte Mitteilung" nach § 19 Abs. 5 VVG genügt, ist mittels einer Gesamtwürdigung und nicht aufgrund einer isolierten Betrachtung der einzelnen Elemente dieser Belehrung zu entscheiden.

2. Eine "Doppelbelehrung" genügt den Anforderungen, wenn sie einerseits aus einem klaren, prägnant gefassten und durch Fettdruck hervorgehobenen Hinweis unmittelbar vor den Antragsfragen besteht, der deutlich und unübersehbar auf die Notwendigkeit der vollständigen und wahrheitsgemäßen Beantwortung der Fragen, die Folgen eines Verstoßes sowie auf nähere Informationen in einer "gesonderten Mitteilung" im "Anhang B" hinweist, und anderseits dieser zusätzliche Hinweis, gleichwohl er sich auf der unteren Seitenhälfte nach einem optisch gleich gestalteten "Anhang A" mit "weiteren Hinweisen für den Antragsteller und die zu versichernde(n) Person(en)" befindet, angesichts dieses konkreten Verweises ohne weiteres aufzufinden ist und dort durch seine in Fettdruck gehaltene Überschrift erkennbar hervorsticht.

 

Normenkette

VVG § 19 Abs. 5

 

Verfahrensgang

LG Saarbrücken (Urteil vom 28.10.2022; Aktenzeichen 14 O 372/21)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 28. Oktober 2022 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken - 14 O 372/21 - abgeändert und die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits fallen der Klägerin zur Last.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird - zugleich in Abänderung der erstinstanzlichen Wertfestsetzung - auf 17.959,- Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um den Fortbestand einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung, aus der die Beklagte ohne Rücksicht auf einen von ihr mit Schreiben vom 20. September 2018 erklärten Rücktritt rückwirkend seit dem 1. September 2016 Leistungen wegen Berufsunfähigkeit erbringt. Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung; sie beantragte am 11. November 2014 durch ihre Geschäftsführerin, die am ... 1972 geborene Frau A. M., für diese als versicherte Person bei der seinerzeit noch unter "... Lebensversicherung AG" firmierenden Beklagten den Abschluss einer Rentenversicherung (Direktversicherung "bAV Strategie Plus") mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Die Beklagte nahm den Antrag an und fertigte am 24. November 2014 den Versicherungsschein Nr. ... aus (vgl. Anschreiben Anlage K1). Versicherungsbeginn war danach der 1. Januar 2015, als Beginn der Rentenzahlung in der Hauptversicherung, Ende der Versicherungsdauer für die Beitragszahlung und für die Berufsunfähigkeitsrente ist jeweils der 1. März 2037 vereinbart, die garantierte monatliche Rente wegen Berufsunfähigkeit beläuft sich inklusive baV-Kundenbonus auf 1.999,99 Euro (Bl. 3 GA). Dem Vertrag liegen die Allgemeinen und die Besonderen Versicherungsbedingungen für die Rentenversicherung nach Tarif BRGV als betriebliche Altersversorgung (im Folgenden: AVB) sowie die Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (im Folgenden: BUZ) zugrunde (im Anlagenkonvolut K2 enthalten).

Das auf "Seite 11 von 14" von der Geschäftsführerin der Klägerin unterzeichnete Antragsformular enthielt auf "Seite 3 von 14" Fragen nach der Gesundheit der zu versichernden Person, darunter:

B 4 Sind Sie in den letzten 5 Jahren untersucht, beraten oder behandelt worden hinsichtlich: (...)

2. Atmungsorgane (z.B. wiederholte oder chronische Bronchitis, Asthma)?

(...)

5. Stoffwechsel oder Hormonhaushalt (z.B. Zuckerkrankheit, Blutfetterhöhung, Gicht, Funktionsstörung der Schilddrüse)?

(...)

8. Psyche (z.B. Depression, Angststörungen, Psychosen, psychosomatische Störungen)?

9. Wirbelsäule, Sehnen, Bänder, Muskeln, Knochen oder Gelenke (z.B. Rückenerkrankungen, Arthrose, Rheuma)?

B5 Wurden Ihnen in den letzten 2 Jahren von Ärzten oder Heilpraktikern Medikamente verordnet (bitte Medikamente unter Erläuterungen angeben)

Die Geschäftsführerin der Klägerin beantwortete diese Fragen - ebenso wie alle anderen Fragen nach ihrer Gesundheit - dahin, dass sie als Antwort jeweils "nein" ankreuzte; die weitere Frage, ob sie einen Hausarzt habe, bejahte sie und gab hierzu "Dr. M./A., ..." an. Auf "Seite 2 von 14" des Antragsformulars befand sich als letzter Absatz vor den Gesundheitsfragen folgender fett gedruckter Hinweis:

Fragen an die zu versichernde Person

Sämtliche im Antrag gestellten Fragen müssen Sie vollständig und wahrheitsgemäß beantworten. Ansonsten kann die ... Lebensversicherung AG unter bestimmten Voraussetzungen den Vertrag kündigen, rückwirkend anpassen oder durch Rücktritt/Anfechtung aufheben. Bei rückwirkender Anpassung oder Aufhebung des Vertrages kann die ... Lebensversicherung AG außerdem berechtigt sein, Leistungen für eingetretene Versicherungsfälle zu verweigern. Lesen Sie dazu bitte die gesonderte Mitteilung über die Folgen einer Verletzung Ih...

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