Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtige Bürgschaft eines finanziell krass überforderten Bürgen
Leitsatz (amtlich)
a) Jedenfalls dann, wenn die Bürgschaftsverpflichtungen am gleichen Tage ggü. dem gleichen Gläubiger für Kreditverbindlichkeiten eines Hauptschuldners abgegeben werden, ist für die Beurteilung der Frage, ob eine krasse finanzielle Überforderung des dem Hauptschuldner nahe stehenden Bürgen vorliegt, eine Gesamtbetrachtung erforderlich, auch wenn seine Verpflichtung in mehrere rechtlich selbständige Verträge aufgespalten wurde.
b) Für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts ist auf die Verhältnisse im Zeitpunkt seiner Vornahme abzustellen. Ein nachträglich erklärter einseitiger Verzicht auf die Geltendmachung von Ansprüchen aus solchen Bürgschaftsverträgen, die dazu geführt haben, dass die Leistungsfähigkeit des Bürgen überschritten wird, beseitigt nicht rückwirkend die im Zeitpunkt der Vertragsabschlüsse für den Bürgen bestehende Zwangslage und deren Ausnutzung durch die Bank.
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Urteil vom 04.09.2007; Aktenzeichen 4 O 193/06) |
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das am 4.9.2007 verkündete Urteil des LG Saarbrücken - 4 O 193/06 - wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung der Beklagten (wegen der Kosten) durch Sicherheitsleistung i.H.v. 115 % des beizutreibenden Betrages abzuwenden, es sei denn, die Beklagte leistet zuvor Sicherheit in gleicher Höhe.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Die Klägerin hat die Beklagte im Wege des Urkundenprozesses aus vier Bürgschaftsverträgen auf Zahlung von insgesamt 165.181,13 EUR in Anspruch genommen.
Die Klägerin schloss am 14.6.1999 als Darlehensgeberin mit der Firma H. B. GmbH und dem Ehemann der Beklagten, der zugleich Geschäftsführer der GmbH war, als Darlehensnehmer drei Darlehensverträge:
- Darlehen Nr. ...3 über 133.000 DM mit einer jährlichen Verzinsung von 4,05 % (Bl. 10)
- Darlehen Nr. ...1 über 67.000 DM mit einer jährlichen Verzinsung von 3,9 % (Bl. 15)
- Darlehen Nr. ...9 über 200.000 DM mit einer jährlichen Verzinsung von 4,25 % (Bl. 16)
Gleichzeitig schloss sie mit dem Ehemann der Beklagten allein einen weiteren Darlehensvertrag Nr. ...7 über 31.200 DM mit einer jährlichen Verzinsung von 5,1 % (Bl. 7).
Für diese vier Darlehensverträge verbürgte sich die Beklagte selbstschuldnerisch jeweils mit schriftlichen Erklärungen vom 14.6.1999 in entsprechender Höhe (Bl. 5, 8, 11, 13). Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses war die Beklagte 50 Jahre alt und arbeitete in der Firma ihres Mannes, der H. B. GmbH, und bezog von dort auch ein monatliches Arbeitsentgelt.
Mit Schreiben vom 10.8.2005 kündigte die Klägerin sowohl ggü. dem Ehemann der Beklagten als auch ggü. der H. B. GmbH sämtliche bestehenden Geschäftsverbindungen auf. Gleichzeitig informierte sie die Beklagte hierüber und kündigte deren Inanspruchnahme aus den Bürgschaften an. Mit Schreiben vom 24.1.2006 verlangte die Klägerin unter Fristsetzung zum 1.2.2006 von der Beklagten Zahlung der aus den vier Darlehensverträgen noch offen stehenden Forderungen i.H.v. 163.280,60 EUR. Über das Vermögen der H. B. GmbH und des Ehemannes der Klägerin wurde zwischenzeitlich das Insolvenzverfahren eröffnet.
Durch das angefochtene Urteil (Bl. 171 ff.), auf dessen tatsächliche und rechtliche Feststellungen vollumfänglich gem. § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat das LG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die vier Bürgschaften vom 14.6.1999 seien wegen Sittenwidrigkeit gem. § 138 Abs. 1 BGB nichtig. Für die Beurteilung der krassen finanziellen Überforderung der Beklagten müsse im Rahmen einer Gesamtschau auf alle vier Bürgschaftsverträge abgestellt werden. Hiervon ausgehend habe die Beklagte bei Vertragsschluss aus ihrem unpfändbaren Einkommen nicht einmal die Zinslast aller vier Darlehen tragen können. Eine in der Zukunft zu erwartende Verbesserung ihres Leistungsvermögens habe die Klägerin nicht dargelegt. Die danach bestehende widerlegliche Vermutung, dass nämlich die Beklagte aufgrund ihrer engen persönlichen Beziehung zu ihrem Ehemann die Bürgschaftsverpflichtungen eingegangen und die Klägerin dies in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt habe, habe die Klägerin nicht widerlegt.
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag nur noch i.H.v. 78.387,59 EUR, der sich aus den 2 Bürgschaftserklärungen vom 14.6.1999 zu den Darlehensverträgen mit dem Konto Nr. ...3 (Bl. 10) und dem Konto Nr. ...1 (Bl. 15) ergibt, weiter, wobei sie erklärt, sie verzichte unbedingt, unwiderruflich und ausdrücklich auf die Ansprüche aus den Bürgschaften für die Darlehen mit den Konto Nrn. ...7 und ...9.
Die Klägerin rügt einen Verstoß des LG gegen seine Aufklärungspflicht aus § 139 ZPO. Es habe versäumt, sie darauf hinzuweisen, dass der Gesichtspunkt, ob eine Verbesserung der finanziellen Lage der Beklagten im Zeitpunk...