Leitsatz (amtlich)
1. Ein Rechtsanwalt verhält sich nicht pflichtwidrig, wenn er dem mit einem Antrag der Kassenärztlichen Vereinigung auf Entziehung der Kassenarztzulassung wegen gröblicher Verletzung seiner vertragsärztlichen Pflichten konfrontierten Mandanten unter zutreffender Berücksichtigung aller im Beratungszeitpunkt bekannten tatsächlichen und rechtlichen Umstände empfiehlt, freiwillig auf die Zulassung zu verzichten.
2. Nimmt der Mandant nach freiwilligem Verzicht auf die Kassenarztzulassung den Rechtsanwalt wegen fehlerhafter Beratung auf Schadensersatz in Anspruch, sind bei der Schadensberechnung die hypothetische Vermögenslage bei Fortführung auch der vormaligen vertragsärztlichen Praxis und die reale Vermögenslage nach Zulassungsverzicht jeweils in Gänze einander gegenüber zu stellen.
Normenkette
BGB §§ 249, 252, 280, 675; Ärzte-ZV § 27 S. 1
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Urteil vom 18.02.2021; Aktenzeichen 9 O 123/17) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 18.02.2021 (Aktenzeichen 9 O 123/17) wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen dem Kläger zur Last.
III. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H. des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v. H. des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger beansprucht von den vormals als Sozietät F. S. H., Straße, Nr., Ort aufgetretenen beklagten Rechtsanwälten Schadensersatz wegen fehlerhafter Beratung.
Der Kläger betrieb eine Praxis in S., für die ihm mit Wirkung ab dem 01.01.2007 die Zulassung als Arzt für Transfusionsmedizin erteilt worden war. Am 10.08.2007 beantragte er eine Sonderbedarfszulassung für das Teilgebiet Hämostaseologie als Facharzt für Innere Medizin. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 27.02.2008 abgelehnt. Dem Kläger wurden seitens der kassenärztlichen Vereinigung vorgeworfen die Überschreitung der Grenzen der vertragsärztlichen Zulassung und nachträgliche Abänderung von Überweisungsscheinen, die Privatliquidation von Gesprächen im Rahmen der hämostaseologischen Behandlung und die unwirtschaftliche Veranlassung von Leistungen an ein Labor MVZ in K.. Gegen den Kläger wurde am 07.12.2010 ein Verfahren zur Entziehung der vertragsärztlichen Zulassung eingeleitet und damit begründet, im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung sei festgestellt worden, dass er Leistungen von rund 500.000 EUR im Quartal ganz überwiegend zugunsten des Labors MVZ K. veranlasst habe. Hierin liege ein Verstoß gegen § 33 Abs. 2 Satz 3 Ärzte-ZV, weil er selbst an dem Labor beteiligt sei. Des Weiteren habe der Kläger versucht, die Inhaber der an ihn überweisenden Praxen dazu zu veranlassen, ihre Überweisungsscheine nachträglich auf "Transfusionsmedizin mit Hämostaseologie" abzuändern. Auch habe er hämostaseologische Leistungen zu Unrecht bei Kassenpatienten privat liquidiert. Am 20.11.2010 wurde ein Regressbescheid zur Rückzahlung abgerechneter hämostaseologischer Leistungen erlassen. Am 31.03.2011 erklärten die Beklagten für den Kläger den Verzicht auf die Zulassung mit Wirkung zum 30.06.2011. Der Kläger betrieb seine Privatpraxis in S. weiter und übte zusätzlich eine Forschungs- und Beratungstätigkeit aus. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhoben die Beklagten für den Kläger mit Schriftsatz vom 27.06.2011 vor dem Sozialgericht für das Saarland Klage gegen den Bescheid der Kassenärztlichen Vereinigung Saarland vom 20.11.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.05.2011. Nachdem die Beklagten mit Schrittsatz vom 08.12.2011 mitgeteilt hatten, dass sie den Kläger nicht mehr vertreten, begründete die jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 30.03.2012 die Klage. Mit Urteil vom 08.05.2013 (Aktenzeichen S 2 KA 70/11) hob das Sozialgericht den angefochtenen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids auf. Dieses Urteil wurde der Kassenärztlichen Vereinigung am 07.06.2013 zugestellt. Die Kassenärztliche Vereinigung nahm die "gegen den Beschluss des Sozialgerichts für das Saarland vom 18. Juni 2013" (bei diesem Beschluss handelt es sich um die Streitwertfestsetzung durch das Sozialgericht, Beiakte Bl. 303 f.) am 08.07.2013 eingelegte Berufung zum Landessozialgericht (Aktenzeichen L 3 KA 22/13) mit Schriftsatz vom 06.02.2015 "im Hinblick auf die nunmehr durch den Senat erfolgte Streitwertfestsetzung" zurück. Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken stellte daraufhin ein zuvor wegen des Tatverdachts des Betruges eingeleitetes Ermittlungsverfahren gegen den Kläger durch Verfügung vom 29.04.2015 (Aktenzeichen 33 Js 616/10) gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein. Den Antrag des Klägers vom 10.09.2015 auf erneute Zulassung als Facharzt für Transfusionsmedizin lehnte der Zulassungsausschuss durch Beschluss vom 0...