Leitsatz (amtlich)

Ein Autofahrer, der sich während einer nächtlichen Fahrt auf einer Landstraße plötzlich umdreht, um sich über eine vermeintliche Gefahrensituation im Fonds des Wagens zu vergewissern, handelt jedenfalls dann grob fahrlässig i.S.d. § 61 VVG, wenn er die Gefahrensituation zuvor durch sein eigenes Verhalten selbst heraufbeschworen hat.

 

Verfahrensgang

LG Saarbrücken (Urteil vom 21.05.2003; Aktenzeichen 12 O 394/02)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG Saarbrücken vom 21.5.2003 – 12 O 394/02 – wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 115 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Zwangsvollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

5. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 41.964,22 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin unterhielt bei der Beklagten für ein Leasing-Fahrzeug der Marke BMW, amtliches Kennzeichen, dessen Halter ihr Ehemann war, eine Vollkaskoversicherung. Sie nimmt die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit auf Zahlung der Versicherungssumme für einen von ihrem Ehemann verursachten Verkehrsunfall in Anspruch.

Am 6.10.2001 war der Ehemann der Klägerin gegen 22 Uhr30 mit dem Fahrzeug in Polen unterwegs. Außer dem Ehemann der Klägerin, der das Fahrzeug führte, befanden sich weitere Personen in dem Fahrzeug: Auf dem Beifahrersitz saß Frau K. (im Folgenden K.); auf der Rücksitzbank saßen die Mitfahrerin S. (im Folgenden: S.), mit der der Ehemann der Klägerin ein Verhältnis hatte, und ein weiterer Mitfahrer. Am selben Abend war es zwischen dem Fahrer und Frau S. zu einem Streit gekommen, nachdem diese dem Ehemann der Klägerin vorgeworfen hatte, er mache Frau K. Avancen. Während der Autofahrt schlug Frau S. dem Fahrer plötzlich von hinten auf die rechte Schulter, weil sie – wie die Klägerin in der Berufung einräumt zu Recht – den Eindruck hatte, dieser habe seine Hand in Richtung auf das Knie seiner Beifahrerin bewegt. Hierauf drehte der Fahrer den Kopf nach hinten, wobei er beim Durchfahren einer Linkskurve die Kontrolle über das Fahrzeug verlor und dieses in den Straßengraben fuhr.

Unter dem 18.12.2001 (Bl. 28 ff. d.A.) wurde der Schaden mit einer von dem Ehemann der Klägerin unterschriebenen Schadensanzeige bei der Beklagten angezeigt. Mit Schreiben vom 18.10.2002 (Bl. 11 d.A.) versagte die Klägerin den Versicherungsschutz mit der Begründung, der Ehemann der Klägerin habe den Unfall als deren Repräsentant infolge alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit verursacht.

Die Klägerin hat behauptet, der Fahrer sei infolge des Schlages auf die Schulter erschrocken und habe dabei die Kontrolle über das Fahrzeug verloren. Es habe sich um eine sog. Spontanreaktion auf eine plötzliche Gefahrensituation gehandelt, die nicht als grob fahrlässig zu werten sei. Der Fahrer sei verpflichtet gewesen, kurz nach hinten zu schauen, um sich Klarheit darüber zu verschaffen, was im Fond des Wagens geschehen sei. Die Geschwindigkeit des Wagens habe allenfalls 70 km/h betragen.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die BMW Leasing GmbH„ 41.964,22 Euro nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 1 des DÜG vom 9.6.1998 seit dem 6.7.2002 zu zahlen.

Dem ist die Beklagte entgegen getreten. Sie hat die Auffassung vertreten, der Fahrer habe den Unfall grob fahrlässig verursacht. Soweit die Klägerin versuche, die Reaktion des Fahrers als Spontanreaktion darzustellen, stünde dies im Widerspruch zu den Angaben der Mitfahrer ggü. der den Unfall aufnehmenden polnischen Polizei und dem Sachvortrag in der Klageschrift. Demnach habe sich der Fahrer ganz bewusst umgedreht, um Frau S. zu beruhigen. Aus Sicht des Fahrers habe keine Gefahrensituation bestanden. Vielmehr habe dieser aufgrund des vorangegangenen Streites ganz genau gewusst, wer ihm einen Schlag versetzt habe. Die Geschwindigkeit vor dem Unfall habe mindestens 90 km/h betragen.

Das LG hat die Klage abgewiesen und hierzu ausgeführt:

Der Klägerin stehe kein Anspruch auf Zahlung der Versicherungssumme zu, da die Beklagte gem. § 61 VVG leistungsfrei geworden sei. Denn der Fahrer habe den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt. Das Umdrehen des Fahrers während des Durchfahrens einer Kurve bei Dunkelheit mit mindestens 70 km/h stelle ein grob verkehrswidriges Verhalten dar. Dieser grobe Verkehrsverstoß sei auch subjektiv unentschuldbar. Insbesondere könne sich die Klägerin nicht auf die Grundsätze des sog. Augenblicksversagens berufen.

Hiergegen wendet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr erstinstanzliches Klagebegehren in vollem Umfang weiterverfolgt.

Die Klägerin behauptet, der Fahrer hätte seinen Annäherungsversuch an die neben ihm sitzende Beifahrerin nicht gestartet, wenn es hell gewesen wäre und er davon hätte ausgehen müssen, dass Frau S. sein Vorgehen beobachten könn...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?