Leitsatz (amtlich)

Ein Fahrer handelt nicht grob fahrlässig i.S.v. § 61 VVG, wenn er sich während einer nächtlichen Autofahrt nach plötzlich aufgetretenem Geschrei seines hinter ihm sitzenden Kindes unwillkürlich umdreht.

 

Verfahrensgang

LG Saarbrücken (Beschluss vom 12.01.2004; Aktenzeichen 14 O 394/03)

 

Tenor

Unter Abänderung des Beschlusses des LG Saarbrücken vom 12.1.2004 - 14 O 394/03 - wird dem Antragsteller für die erste Instanz Prozesskostenhilfe gewährt.

Der Antragsteller hat keine Ratenzahlungen auf die Prozesskosten zu leisten.

 

Gründe

I. Der Antragsteller begehrt Prozesskostenhilfe für die Durchführung eines Klageverfahrens, in dem er die Antragsgegnerin aus einem Kfz-Vollkaskoversicherungsvertrag für einen Unfallschaden in Anspruch nehmen will.

Der Antragsteller erlitt am 12.4.2003 mit seinem Kraftfahrzeug einen Verkehrsunfall. Er befuhr gegen 22 Uhr mit seinem Fahrzeug die Bundesautobahn 565 mit einer Geschwindigkeit zwischen 90 und 100 km/h. Außer dem Antragsteller befanden sich weitere Personen in dem Fahrzeug: Auf dem Beifahrersitz saß die Schwägerin des Antragstellers; auf der Rücksitzbank nahm die Ehefrau des Antragstellers zwischen den beiden drei und fünf Jahre alten Kindern Platz. Der Unfall ereignete sich, weil der Antragsteller von seiner Fahrspur abgekommen war und gegen die linksseitige Leitplanke stieß. Hierbei wurde das Fahrzeug beschädigt.

Den Verlauf des Unfalls schildert der Antragsteller in der Antragsschrift wie folgt: Im Fahrzeuge sei es vollkommen ruhig gewesen, das Radio sei ausgeschaltet gewesen. Die Insassen hätten sich nicht unterhalten, weshalb der Kläger davon ausgegangen sei, dass seine beiden Kinder auf der Rückbank eingeschlafen seien. In dieser Situation habe der Kläger plötzlich und unvorbereitet ein knallendes Geräusch und unmittelbar darauf ein lautes Aufschreien des jüngeren Kindes vernommen. Im Nachhinein habe sich herausgestellt, dass das ältere Kind erwacht gewesen sei und unmotiviert ein Spielzeug ergriffen und nach dem jüngeren Geschwisterkind geworfen habe. Dieses sei sodann unvermittelt aus Schreck beziehungsweise Schmerzen in ein lautes Schreien ausgebrochen. Demgegenüber schildert der Antragsteller den Unfallverlauf in einer schriftlichen Schadensanzeige (Bl. 18 d.A.) ggü. der Antragsgegnerin wie folgt: Während der Fahrt habe sich ein Konflikt zwischen den im Heckbereich sitzenden Kindern entwickelt. Um schlichtend einzugreifen, habe der Antragsteller in den Rückspiegel geschaut und sich hierbei für zwei Sekunden zur rechten Seite umgedreht. Diese Zeit habe ausgereicht, dass das Fahrzeug aus der Spur gelenkt worden sei. Auch die vom Antragsteller benannte Zeugin M. R. hat sich ggü. der Antragsgegnerin über den Unfallverlauf geäußert. In ihrer schriftlichen Erklärung (Bl. 20 d.A.) hat die Zeugin ausgeführt, dass sich die im Auto sitzenden Kinder während der Fahrt nach Bonn gestritten hätten. Der Fahrer habe kurzzeitig nach hinten geschaut, um die Kinder zur Ruhe zu ermahnen. Dabei sei er in einer Kurve geradeaus gefahren.

Die Antragsgegnerin lehnt eine Leistung ab; sie vertritt die Auffassung, der Antragsteller habe den Versicherungsfall durch sein Verhalten grob fahrlässig herbeigeführt. Denn er habe - wie er selbst in der Schadensanzeige angegeben habe - auf der Überholspur der Autobahn vor einer Kurve unter Einhaltung einer Geschwindigkeit von 100 km/h bei Dunkelheit sekundenlang den Blick von der Fahrbahn abgewendet, um ein nicht verkehrswesentliches Geschehen zu beobachten.

Das LG hat den Antrag zurückgewiesen und die Auffassung vertreten, der Antragsteller habe den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt.

Hiergegen wendet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers. Der Antragsteller trägt vor, dass ein Blick in den Rückspiegel entgegen der Auffassung des LG jedenfalls beim Fahren in völliger Dunkelheit und auf unbeleuchteter Wegstrecke nicht geeignet gewesen sei, Aufschluss über mögliche Vorgänge im rückwärtigen Teil des Fahrzeugs zu erhalten. Auch habe das LG die situative Besonderheit der Schrecksituation nicht hinreichend berücksichtigt, die gerade dadurch gekennzeichnet sei, dass unmittelbar, eher willkürlich bzw. instinktiv reagiert werde. In einer solchen Situation fänden abwägende Überlegungen nicht statt. Auch als Verkehrsteilnehmer könne sich der Fahrer nicht von Reaktionsabläufen lösen, wie sie dem menschlichen Verhalten eigen seien. Schließlich dürfe dem Antragsteller nicht angelastet werden, dass er aus nichtigem, völlig unerheblichen Anlass reagiert habe. Vielmehr habe eines seiner Kinder laut aufgeschriehen, ohne dass dies in einer Spielsituationen geschehen sei. Es habe sich daher um einen plötzlichen, unerwarteten Vorgang gehandelt, der eine Verletzung oder ein sonstiges Übel habe nachvollziehbar erwarten lassen. In vergleichbaren Situationen würde die weit überwiegende Zahl hiervon betroffener Personen genauso reagieren.

Das LG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II. Die zulässige, gem. § 127 Abs. 2, § 569 ZPO form- und fristg...

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