Leitsatz (amtlich)
1. Ein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 13 Abs. 3 Satz 1 HaftPflG liegt nicht vor, wenn eine Straßenbahn einen Unfall vermeiden kann, indem sie, ohne eine Gefahrenbremsung vorzunehmen, die Geschwindigkeit stärker herabsetzt. Die Darlegungs- und Beweislast trägt der Betriebsunternehmer.
2. Einen die Schienen unachtsam überquerenden Fußgänger trifft ein erhebliches Mitverschulden (hier 70 %). Die Betriebsgefahr der Bahn tritt nicht in jedem Fall völlig hinter dieses zurück.
Normenkette
HaftpflG § 4; HaftPflG § 13 Abs. 3 S. 1; BGB § 254
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Urteil vom 13.12.2013; Aktenzeichen 1 O 353/12) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten zu 1) gegen das am 13.12.2013 verkündete Urteil des LG Saarbrücken (1 O 353/12) wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte zu 1) trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dieses Urteil und das am 13.12.2013 verkündete Urteil des LG Saarbrücken sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte zu 1) darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, falls nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld auf Grund eines Unfallereignisses vom 04.11.2009 in der Lebacher Straße in S. in Anspruch.
Am Unfalltag wollte die Klägerin gegen 13.50 Uhr die Lebacher Straße überqueren. Während des Passierens der Straße wurde sie von einem Zug der Beklagten zu 1), der von dem Beklagten zu 2) gesteuert wurde, erfasst und schwer verletzt. Der Saarbahnzug befuhr von der Haltestelle Cottbuser Platz kommend die Lebacher Straße stadtauswärts in Richtung Haltestelle Pariser Platz.
Der Beklagte zu 2) sah die Klägerin, als diese in normalem Tempo über die Gleiskörper ging. Er verlangsamte daraufhin die Geschwindigkeit und ging in die Bremsvorbereitung. Nachdem die Klägerin keine Reaktion zeigte, betätigte er die Glocke und bremste den Zug ab. Da die Klägerin auch hierauf nicht reagierte, leitete er eine Gefahrenbremsung ein, wobei die Glocke während der Gefahrenbremsung automatisch betätigt wurde.
Durch das Unfallereignis erlitt die Klägerin ein Polytrauma mit traumatischem subduralem Hämatom rechts fronto-temporal, traumatische SAB, Kontusionen rechts temporal und parietal, eine Schädelbasisfraktur, Felsenbeinlängsfrakturen, Frakturen in der linken Kiefergelenkspfanne, Rippenserienfrakturen, eine Lungenkontusion, eine interperitoneal traumatische Blutung und arterielle Hypertonie.
Sie wurde vom 04.11. 2009 bis zum 12.11.2009 stationär behandelt, wobei eine Analgosedierung und Intubierung stattfanden. Eine Entlastungskraniektomie wurde vorgenommen.
Vom 12.11.2009 bis zum 08.12.2009 begab sich die Klägerin in eine stationäre Frührehabilitation in der Neurologischen Klinik der SHG-Klinik S. und sodann vom 08.12.2009 bis zum 16.02.2010 in eine Rehabilitationsmaßnahme in der SHG-Klinik in Q..
Während eines weiteren stationären Aufenthalts vom 03.03.2010 bis zum 10.03.2010 wurde der eigene Knochendeckel rechtsfrontotemporal reimplantiert.
Die Klägerin befindet sich wegen fortbestehender Depressionen und Angstzuständen weiterhin in ärztlicher Behandlung.
Sie leidet nach wie vor an Schwindel und Konzentrationsschwierigkeiten. Sie kann sich nicht mehr alleine im Straßenverkehr bewegen und bedarf beim Verlassen des Hauses stets einer Begleitperson.
Die Klägerin zeigt ausweislich des beim Sozialgericht für das Saarland (Az.: S8 SB 936/10) eingeholten Gutachtens auf Grund des Unfallereignisses aktuell massive Aufmerksamkeitsstörungen, visuo-konstruktive sowie sprachliche und mnestische Defizite. Wegen des weiteren Inhalts wird auf das Gutachten (Bl. 25 d.A.) Bezug genommen.
Seit dem Unfall kann die Klägerin keine Arbeiten im Haushalt mehr ausführen.
Die Klägerin hat behauptet, dass der Beklagte zu 2) den Unfall fahrlässig verursacht habe, weil er eine Gefahrenbremsung viel früher als geschehen hätte einleiten müssen, so dass der Zug rechtzeitig vor der Klägerin zum Halten gekommen wäre.
Vor dem Unfallereignis habe sie, die Klägerin, den Haushalt nahezu alleine versorgt. Die Wohnung sei 94 m2 groß, bestehend aus 4 Zimmern, Küche und Bad. Es handle sich um einen Durchschnittshaushalt. Zur Wohnung gehöre auch eine große Terrasse von ca. 130 m2. Ausgehend von einem 3-Personen-Haushalt und der Tabelle 1 nach Schulz-Borck/Hofmann bestehe ein Arbeitszeitbedarf von 45,6 Stunden bei einer monatlichen Nettovergütung von 1.429,17 EUR. Vom Unfalltag bis zum 31.12.2012 errechne sich daher ein Haushaltsführungsschaden in Höhe von 54.070,27 EUR. Unter Berücksichtigung der im Haushalt lebenden erwachsenen Tochter mit 15 % und des voll berufstätigen Ehemannes mit ebenfalls 15 % verbleibe ein Arbeitsaufwand von 70 % = 37.349,19 EUR.
Bei einem Mitverschulden der...