Leitsatz (amtlich)

1. Beim Vorbeifahren an einem Hindernis (§ 6 StVO) treffen den Ausscherenden gegenüber dem nachfolgenden Verkehr dieselben Sorgfaltspflichten wie einen Überholenden. Der Sorgfaltsmaßstab des Überholenden ist aber höher als der des Vorbeifahrenden, weil dieser auf den nachfolgenden Verkehr zu "achten" hat, während der Überholende sich so zu verhalten hat, dass eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs "ausgeschlossen" ist.

2. Eine unklare Verkehrslage liegt nicht vor, wenn für den Überholenden nicht konkret erkennbar war, dass das vor ihm fahrende Fahrzeug - hier: Traktorgespann - wegen eines am Fahrbahnrand abgestellten Pkw zu einem Ausweichmanöver ansetzen würde.

 

Verfahrensgang

LG Saarbrücken (Aktenzeichen 15 O 265/14)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird - unter Zurückweisung derselben im Übrigen - das am 30. Juni 2016 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken - 15 O 265/14 - teilweise abgeändert:

Die Beklagten werden unter Klageabweisung im Übrigen als Gesamtschuldner verurteilt, über die erstinstanzlich zuerkannten Beträge hinaus

1. an den Kläger als Schadensersatz weitere 1.578,99 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 4. September 2014 zu zahlen,

2. an den Kläger als vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten weitere 157,79 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 18. September 2014 zu zahlen.

II. Die Anschlussberufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aufgrund eines Verkehrsunfalles, der sich am 4. Juni 2014 gegen 18.00 Uhr in Hemmersdorf ereignet hat. Unfallbeteiligte Personen waren die Zeugin M. als Fahrerin eines Pkw der Marke Toyota Corolla Verso, amtliches Kennzeichen XXX-XX XXX, dessen Eigentümer und Halter der Kläger ist, und der Beklagte zu 3) als Fahrer eines mit einem nicht zum Straßenverkehr zugelassenen Anhänger bespannten Traktors der Marke Eicher Mammut 1174, amtliches Kennzeichen: XXX-XX XX, dessen Halter zum Unfallzeitpunkt der Beklagte zu 2) war und für den bei der Beklagten zu 1) eine Kfz- Haftpflichtversicherung bestand. Vor dem Unfall befuhr die Zeugin M. mit dem Pkw des Klägers die Lothringer Straße in Richtung Hemmersdorf. Vor dem Fahrzeug des Klägers fuhr der vom Beklagten zu 3) geführte Traktor mit geringer Geschwindigkeit. Da kein Gegenverkehr ersichtlich war, setzte die Zeugin M. zum Überholen an. Als sie sich mit dem von ihr geführten Fahrzeug auf der Höhe des Traktors befand, scherte dieser nach links aus, um an einem am rechten Fahrbahnrand abgestellten Fahrzeug vorbei zu fahren. Hierbei kam es zur Kollision. Am Fahrzeug des Klägers entstand ein Sachschaden, den der Kläger zu Kosten in Höhe von 5.917,07 Euro (brutto) reparieren ließ. Für die Begutachtung des Fahrzeugs fielen Sachverständigenkosten in Höhe von 836,37 Euro an. Der Kläger nahm ein Mietfahrzeug derselben Klasse in Anspruch, für das er 416,50 Euro aufwandte. Zuzüglich einer allgemeinen Schadenspauschale von 25,- Euro hat er seinen Schaden auf insgesamt 7.194,94 Euro beziffert und die Beklagte zu 1) mit anwaltlichem Schreiben vom 20. August 2014 unter Fristsetzung auf den 3. September 2014 zum Ausgleich aufgefordert (Bl. 33 f. GA). Die Beklagte zu 1) hat auf die Ansprüche des Klägers vorgerichtlich einen Betrag von 1.798,74 Euro gezahlt.

Der Kläger hat behauptet, der Beklagte zu 3) habe seine Absicht, am abgestellten Fahrzeug vorbeizufahren, nicht durch das Betätigen des Blinkers angekündigt, der zudem auch defekt gewesen sei, sondern sei plötzlich und unerwartet nach links ausgeschert. Das am Fahrbahnrand abgestellte Fahrzeug sei für die Zeugin M. aus ihrer Position heraus nicht zu erkennen gewesen. Angesichts dieses groben Fehlverhaltens sei der Unfall für die Zeugin M., die sich während des Überholvorganges auf der Mitte der Gegenfahrbahn befunden habe, unvermeidbar gewesen.

Der Kläger hat beantragt:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 5.396,75 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 4. September 2014 zu zahlen.

2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 729,23 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 4. September 2014 zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben behauptet, der Beklagte zu 3) habe sich mit dem Traktor langsam in Richtung Fahrbahnmitte orientiert, um an dem am Fahrbahnrand abgestellten Fahrzeug vorbeizufahren. Die Zeugin M. habe den Traktor bei unklarer Verkehrslage überholt, weil sie angesichts des am Fahrbahnrand abgestellten Fahrzeugs mit einem Ausscheren des Traktors habe rechnen müssen. Auch habe sie den Traktor mit zu geringem Seitenabstand überholt, so dass es ...

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