Leitsatz (amtlich)
Der Verkehrsregelung durch eine Lichtzeichenanlage an einer Kreuzung oder Einmündung kommt eine so erhebliche Bedeutung zu, dass die Betriebsgefahr sowie im Einzelfall auch ein geringfügiges Verschulden des bei Grünlicht in den geschützten Kreuzungs-/Einmündungsbereich Einfahrenden hinter den Rotlichtverstoß des Unfallgegners zurücktritt.
Normenkette
StVG §§ 7, 17-18; StVO §§ 1, 8, 10, 37
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Urteil vom 03.05.2022; Aktenzeichen 5 O 62/21) |
Tenor
I. Auf die Erstberufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 3.5.2022 - 5 O 62/21 - teilweise abgeändert und die Klage abgewiesen.
II. Die Zweitberufung des Klägers wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt der Kläger.
IV. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil des Landgerichts Saarbrücken sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 6.11.2019 in Saarbrücken ereignet hat.
Der Kläger befuhr mit seinem Pkw Mercedes-Benz (amtl. Kz.: ...) die Kaiserstraße in Richtung Hauptbahnhof. Baustellenbedingt war die rechte der beiden Fahrspuren gesperrt und eine Behelfsampel eingerichtet, die der Kläger bei Rotlicht überfuhr. In der Folge kam es zur Kollision mit dem bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten Pkw Mazda (amtl. Kz.: ...), als die Erstbeklagte bei für sie angezeigtem Grünlicht aus der Ausfahrt des Parkhauses Galeria Kaufhof auf die Kaiserstraße einfuhr.
Mit der Klage hat der Kläger die Beklagten bei Geltendmachung deren Alleinhaftung auf Zahlung von 6.223,58 EUR (5.258,48 EUR Netto-Reparaturkosten + 940,10 EUR SV-Kosten + 25,- EUR Unkostenpauschale) nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten in Anspruch genommen. Hierzu hat er geltend gemacht, sein Rotlichtverstoß habe sich nicht unfallkausal ausgewirkt und die Kollision sich allein deshalb ereignet, weil die Erstbeklagte ihr Fahrzeug zunächst parallel zu den Saarbahngleisen geführt habe und sodann ohne Beachtung des neben ihr befindlichen Klägerfahrzeugs auf die Kaiserstraße eingefahren sei.
Die Beklagten sind der Klage entgegengetreten und haben geltend gemacht, der Kläger sei mit hoher Geschwindigkeit ungebremst in das ordnungsgemäß einfahrende Beklagtenfahrzeug gefahren.
Das Landgericht, auf dessen tatsächlichen Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO ergänzend Bezug genommen wird, hat die Beklagten unter Abweisung der Klage im Übrigen als Gesamtschuldner zur Zahlung von 1.555,89 EUR nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger hafte zu 75 %, da er das für ihn geltende Rotlicht missachtet und zudem auf das in einer "normalen" Ausfahrbewegung einfahrende Beklagtenfahrzeug nicht reagiert habe, wohingegen die Erstbeklagte gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen habe, da sie in die Kaiserstraße eingefahren sei, ohne sich nach rechts bezüglich herannahender Fahrzeuge zu vergewissern.
Hiergegen richten sich die Berufungen der Parteien, mit denen sie jeweils die Alleinhaftung der anderen Partei geltend machen.
II. Erst- und Zweitberufung sind zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Die Erstberufung hat auch in der Sache Erfolg, wohingegen die Zweitberufung zurückzuweisen ist.
1. Das Landgericht ist von den Parteien unbeanstandet davon ausgegangen, dass sowohl die Kläger- als auch die Beklagtenseite grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gem. §§ 7, 17, 18 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 115 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) einzustehen haben, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG darstellt.
2. Die hiernach gebotene Entscheidung über die Haftungsverteilung im Rahmen des § 17 Abs. 1, 2 StVG ist aufgrund aller festgestellten, d. h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben. Dabei ist in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben, wobei ein Faktor bei der Abwägung das beiderseitige Verschulden ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. November 2022 - VI ZR 344/21 -, Rn. 11, juris). Anders als das Landgericht angenommen hat, hat der Kläger danach für die Unfallfolgen alleine einzustehen.
a) Ohne Erfolg wendet sich die Zweitberufung dagegen, dass das Landgericht auf Klägerseite einen Verstoß gegen § 8 Abs. 2 StVO i.V.m. 37 Abs. 1 StVO berücksichtigt hat.
Soweit der Kläger geltend macht, sein Rotlichtverstoß sei nicht kausal für den Unfall geworden, da die Ampel auch der Einfahrt in das Parkhaus diene und die Parkhausausfahrt als weiter entfernt liegende Einmündung nicht mehr dem unmittelbaren Schutzbereich ...