Leitsatz (amtlich)
Kann der bei Grün in eine Kreuzung Einfahrende wegen der Sichtbehinderung durch einen abbiegenden Lkw nicht sicher abschätzen, ob sich im Kreuzungsbereich bevorrechtigte Nachzügler befinden, muss er besondere Vorsicht walten lassen.
Normenkette
StVG §§ 7, 17; StVO § 1 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Urteil vom 05.04.2024; Aktenzeichen 1 O 291/22) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 5.4.2024 - 1 O 291/22 - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 3.601,08 EUR sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.134,55 EUR, jeweils nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.10.2022, zu zahlen.
2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die ... Versicherungen als Kaskoversicherer des Klägers 5.705,79 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.10.2022 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten der ersten Instanz tragen der Kläger zu 55 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 45 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 18 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 82 %.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagten aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, der sich am 31.8.2022 in ... im Kreuzungsbereich ... ereignet hat.
Der Kläger befuhr mit seinem Fahrzeug Mercedes Benz 212 K/E350 CDI (amtl. Kz.: ...) die ... Straße aus Richtung Innenstadt kommend in Richtung .... Die Erstbeklagte befuhr mit dem bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten Fahrzeug Mercedes Benz 245G/CLA 180 (amtl. Kz.: ...) die ... in Richtung .... Im Kreuzungsbereich auf der ... Straße kam es im Zusammenhang mit dem Abbiegevorgang eines LKW von der ... nach links in die ... Straße in Richtung Innenstadt zur Kollision der beiden Fahrzeuge. Der Kläger ließ sein Fahrzeug zu einem Betrag von 15.553,47 EUR reparieren, der von seinem Kaskoversicherer bis auf eine Selbstbeteiligung von 300,- EUR reguliert wurde.
Mit der Klage hat der Kläger die Beklagten zuletzt auf Zahlung von 4.294,21 EUR (300,- EUR Selbstbeteiligung + 100,- EUR Wertminderung + 25,- Kostenpauschale + 1.815,21 EUR Gutachterkosten + 2.054,- Nutzungsausfall) nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten von 1.375,88 EUR an sich selbst und Zahlung weiterer 5.705,88 EUR nebst Zinsen an seinen Kaskoversicherer in Anspruch genommen. Die Beklagten sind der Klage entgegengetreten.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht, auf dessen tatsächliche Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO ergänzend Bezug genommen wird, der Klage bis auf einen Teil der vorgerichtlichen Anwaltskosten stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Rotlichtverstoß bzw. eine überhöhte Geschwindigkeit eines der Unfallbeteiligten könne nicht festgestellt werden. Die Erstbeklagte habe aber gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen, da sie ohne freie Sicht und ohne auf von rechts kommende Fahrzeuge zu achten trotz des noch nicht vollständig abgebogenen LKW unter Nutzung des dem Linksabbiegerverkehr aus der ... vorbehaltenen Bereichs angefahren sei. Damit habe sie grob fahrlässig gehandelt, sodass die allein verbleibende Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs vollständig zurücktrete.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie eine Haftungsteilung anstreben. Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung.
II. Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. In der Sache hat sie teilweise Erfolg.
1. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass sowohl die Kläger- als auch die Beklagtenseite grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§ 7, 17, 18 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 115 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) einzustehen haben, da die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG darstellt. Dies wird von den Parteien nicht in Zweifel gezogen und begegnet keinen Bedenken.
2. Die danach gebotene Entscheidung über eine Haftungsverteilung im Rahmen des § 17 StVG, die aufgrund aller festgestellten, d.h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen ist, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 2023 - VI ZR 287/22, Rn. 12, juris), führt hier zwar zur überwiegenden, entgegen dem Landgericht aber nicht zur Alleinhaftung der Beklagten.
a) Keinen Bedenken begegnet, dass das Landgericht auf Beklagtenseite einen Rotlichtverstoß der Erstbeklagten für nicht bewiesen erachtet hat. Für einen solchen streitet entgegen der Auffassung des Klägers auch kein Anscheinsbeweis.
aa) Die An...