Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsschutzbedürfnis für das Anfechtungsverfahren der Betriebsratswahl. Statusprüfung im Wahlanfechtungsverfahren
Leitsatz (redaktionell)
1. Das Rechtsschutzbedürfnis für ein Anfechtungsverfahren entfällt nicht dadurch, dass das einzige gewählte Betriebsratsmitglied aus dem Unternehmen ausscheidet. Denn die - erfolgreiche - Wahlanfechtung betrifft den Betriebsrat als solchen in seinem (Fort-)Bestand. Sie verkürzt die Amtszeit des aktuellen Betriebsrats und erfordert dessen Neuwahl.
2. Leitende Angestellte i.S.d. § 5 Abs. 3 BetrVG sind zur Betriebsratswahl weder aktiv noch passiv legitimiert. Kandidieren sie und werden gewählt, ist dies ein wesentlicher Verstoß gegen die Wahlvorschriften und kann zur erfolgreichen Wahlanfechtung führen. Im Streitfall muss das Arbeitsgericht im Wahlanfechtungsverfahren den Status des Arbeitnehmers nach Maßgabe der Kriterien des § 5 Abs. 3 BetrVG nachprüfen.
Normenkette
BetrVG § 5 Abs. 3, § 19 Abs. 1-2
Verfahrensgang
ArbG Leipzig (Entscheidung vom 20.05.2020; Aktenzeichen 4 BV 64/19) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 2. wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Leipzig vom 20.05.2020 - 4 BV 64/19 - abgeändert und der Antrag der Antragstellerin/Beteiligten zu 1. zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.
Die Antragstellerin/Beteiligte zu 1. (im Folgenden: Arbeitgeberin) mit Sitz in ... betreibt ein Unternehmen des Einzelhandels, das bundesweit über Filialen insbesondere Dekorationsartikel, Haushaltsgegenstände, Spielzeug und Geschenkartikel im skandinavischen Design vertreibt. In den Filialen, die jeweils durch eine/n Filialleiter/in ("Store-Manager/in") geleitet werden, werden jeweils zwischen fünf und zehn Mitarbeiter/innen beschäftigt. Die Filialen sind insgesamt sieben "Distrikt-Managern" zugeordnet, deren Aufgabe es u.a. ist, sicherzustellen, dass die Filialen die vertrieblichen Vorgaben und die Vorgaben zum Stellenplan einhalten. In der Hauptverwaltung in Hamburg besteht eine für alle Filialen verantwortliche Personalabteilung, in der u.a. die Personalakten der Arbeitnehmer geführt werden und die Vergütung abgerechnet wird. Zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Betriebsratswahl betrieb die Arbeitgeberin deutschlandweit noch 58 Filialen.
Für jede Filiale gilt ein von der Hauptverwaltung vorgegebener Stellenplan, der vorgibt, wie sich das für die Filiale zur Verfügung stehende Stundenkontingent auf Mitarbeiter in Vollzeit, Teilzeit und auf Aushilfen verteilen soll. Nur innerhalb dieses Rahmens dürfen Einstellungen erfolgen. Ist in einer Filiale eine Stelle zu besetzen, meldet dies der/die Filialleiter/in dem/der District-Manager/in. In der Folge wird die Stelle über ein Bewerbermanagementsystem über das Internet veröffentlicht. Alle Bewerbungen, die auf die Stelle bezogen sind, kann die Filialleitung über das Bewerbermanagementsystem abrufen. Sie entscheidet, welche Bewerber/innen zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden und welche/r Bewerber/in die Stelle erhält. In der Folge teilt die Filialleitung ihre Auswahlentscheidung der Personalabteilung mit, die den Arbeitsvertrag zu den im Unternehmen geltenden Bedingungen erstellt, der regelmäßig durch die Personalleiterin unterzeichnet wird. Ebenso teilt die Filialleitung der Personalabteilung mit, ob befristete Arbeitsverträge verlängert werden oder auslaufen sollen. Die Filialleitung entscheidet grundsätzlich auch darüber, ob Arbeitsverträge in der Probezeit oder danach aus personen- oder verhaltensbedingten Gründen gekündigt werden sollen. Auch insoweit teilt die Filialleitung der Personalabteilung ihre Entscheidung mit. Die Personalabteilung erstellt in der Folge das Kündigungsschreiben, welches von der Personalleiterin unterzeichnet wird.
In der Zeit vom 07. bis 11.05.2018 fand in sämtlichen Filialen der Arbeitgeberin und deren Hauptverwaltung in ... eine Wahl zu einem für das gesamte Unternehmen zuständigen Betriebsrat statt. Auf Antrag der Arbeitgeberin erklärte das Arbeitsgericht Hamburg mit einem inzwischen rechtskräftigen Beschluss vom 14.05.2019 (Anlage A 3 zur Antragsschrift vom 23.12.2019; Bl. 17 ff. d. A.) die Betriebsratswahl vom 11.05.2018 für unwirksam und stellte fest, dass die Arbeitgeberin sowohl am Sitz ihrer Hauptverwaltung in Hamburg als auch in den im Beschlusstenor genannten Filialen, u.a. in der Filiale im ....Center in ... jeweils eigenständige betriebsratsfähige Organisationseinheiten unterhalte. Zur Begründung ist in dem Beschluss u.a. ausgeführt, bei den im Tenor genannten Filialen handele es sich um Betriebsteile, die gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG als selbständig gölten, weil sie durch Aufgabenbereich und Organisation eigenständig seien. Mit der Filialleitung sei ein Entscheidungsträger der Arbeitgeberin "vor Ort" vorhanden, der in den wesentlichen Bereichen der personellen Angelegenheiten...