Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertrauensvolle Zusammenarbeit gem. § 2 Abs. 1 BetrVG. Fragebogenaktion des Betriebsrats im Betrieb. Inhaltlich zulässige Themen eines Fragebogens. Freie Wahl des Betriebsrats bezüglich seiner Kommunikationswege. Keine Sperrwirkung durch § 94 BetrVG
Leitsatz (amtlich)
Der Betriebsrat ist berechtigt, eine Befragung der Mitarbeiter des Betriebes durch Fragebögen durchzuführen.
Leitsatz (redaktionell)
1. Für die Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat geht § 2 Abs. 1 BetrVG i.V.m. § 74 Abs. 1 S. 2 BetrVG vom Partnerschaftsgedanken als einem grundlegenden Prinzip des Betriebsverfassungsrechts aus. Dem Betriebsrat wird eine Mitverantwortung für den Betrieb und eine Selbstverantwortung für die Arbeitnehmerbelange auferlegt.
2. Gegen die Durchführung einer Fragebogenaktion des Betriebsrats im Betrieb bestehen dem Grunde nach keine rechtlichen Bedenken. Das BetrVG enthält keine ausdrückliche gesetzliche Vorschrift über die Zulässigkeit derartiger Maßnahmen. Das besagt aber noch nicht, dass die geplante Maßnahme allein deshalb unzulässig wäre.
3. Befasst sich der Fragebogen seinem Inhalt nach durchweg mit Fragen, die im Beteiligungsbereich des Betriebsrats bzw. der Jugendvertretung liegen, ist dies zulässig. Mögliche und zulässige Erörterungsgegenstände auf einer Betriebs- oder Jugendversammlung können grundsätzlich auch zum Inhalt eines Fragebogens gemacht werden, soweit sie die Arbeitnehmer und hier die Auszubildenden unmittelbar betreffen.
4. Ob die Kommunikation des Betriebsrats mit der Belegschaft auf der Basis von Sprechstunden, Betriebsversammlungen, Besuchen am Arbeitsplatz oder Fragebögen basiert, steht ihm frei. Der Betriebsrat ist frei darin, zu entscheiden, welche Form der Kommunikation er für zweckmäßiger erachtet.
5. § 94 BetrVG begründet ein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung von Personalfragebögen durch den Arbeitgeber. Das Beteiligungsrecht besteht nur zugunsten des Betriebsrats. Eine Beschränkung der Mitarbeiterbefragung durch den Betriebsrat enthält § 94 BetrVG nicht.
Normenkette
BetrVG § 2 Abs. 1, § 74 Abs. 1 S. 2, § 80 Abs. 1, § 94
Verfahrensgang
ArbG Leipzig (Entscheidung vom 13.05.2022; Aktenzeichen 12 BVGa 2/22) |
Tenor
Die Beschwerde des Beteiligten zu 1-3 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Leipzig vom 13.05.2022 –12 BVGa 2/22– wird z u r ü c k g e w i e s e n .
Gründe
I.
Die Parteien streiten im Beschwerdeverfahren weiterhin über die Berechtigung des Betriebsrates eine Mitarbeiterbefragung durchführen zu dürfen.
Die Beteiligten zu 1-3 betreiben einen Gemeinschaftsbetrieb. Der Beteiligte zu 4 ist in der im Gemeinschaftsbetrieb gewählte Gemeinschaftsbetriebsrat. Die Beteiligte zu 2 betreibt einen Ambulanten Pflegedienst.
Der Beteiligte zu 4 hat diese Beschäftigten des Ambulanten Pflegedienstes angeschrieben um eine Mitarbeiterbefragung durchzuführen. In dem Anschreiben war ein Fragebogen beigefügt. Auf die Anl. AS2 und AS3 wird Bezug genommen.
Die Beteiligten zu 1-3 haben den Beteiligten zu 4 aufgefordert, bis zum 05.05.2022 zu erklären, dass die Fragebögen zurückgezogen und vernichtet werden. Eine Erklärung erfolgte bis zum 05.05.2022 durch den Beteiligten zu 4 nicht.
Die Beteiligten zu 1-3 sind der Ansicht, eine Mitarbeiterbefragung ohne vorherige Information und ohne vorheriges Einverständnis des Arbeitgebers sei unzulässig. Sofern keine Einigung erreichbar sei, müsse ein Spruch der Einigungsstelle abgewartet werden. Das Betriebsverfassungsgesetz enthalte keine Rechtsgrundlage für die durchgeführte Mitarbeiterbefragung durch den Betriebsrat. Es handele sich um Suggestivfragen, die dazu dienen den Arbeitgeber zu diskreditieren. Es bestehe kein Bezug zu den Aufgaben eines Betriebsrates. Hinsichtlich des Gesundheitsschutzes sei der Fragebogen mitbestimmungspflichtig. Der Beteiligte zu 4 sei zum Abbruch der Fragebogenaktion verpflichtet. Eine Auswertung der Fragebögen sei nicht vorzunehmen. Eine Veröffentlichung der Ergebnisse der Befragung sei unzulässig. Das Inverkehrbringen der Mitarbeiterbefragung stelle eine grobe Pflichtverletzung dar.
Die Beteiligten zu 1-3 haben beantragt,
- dem Beteiligten zu 4 wird aufgegeben, es zu unterlassen, gegenüber Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Ambulanten Pflegedienst der Beteiligten zu 2 eine Mitarbeiterbefragung entsprechend der Anl. AS3 durchzuführen ohne dass die Beteiligten zu 1-3 dieser zugestimmt haben oder deren Zustimmung durch Spruch einer Einigungsstelle ersetzt worden ist;
- dem Beteiligten zu 4 wird aufgegeben, es zu unterlassen, von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ambulanten Pflegedienstes der Beteiligten zu 2 ausgefüllte Fragebögen zur Mitarbeiterbefragung im Ambulanten Pflegedienst entsprechend der Anlage AS3 auszuwerten und die gewonnenen Ergebnisse zu veröffentlichen;
- festzustellen, dass die Mitarbeiter:innenbefragung im Ambulanten Pflegedienst der Beschäftigten der Beteiligten zu 2 ohne vorherige Information der Beteiligten zu 1-3 und ohne vorherige Zustimmung bzw. Anrufung der Einigungsstelle eine grobe Pflichtverlet...