Der Fall: Darf der Betriebsrat eine Mitarbeiterbefragung durchführen?
Ein Gesamtbetriebsrat in einem Pflegeunternehmen wollte eine Mitarbeiterbefragung durchführen. Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat aufgefordert, das zu unterlassen und da dieser die Befragung weiter fortführen wollte, entsprechende Anträge beim Arbeitsgericht gestellt.
Das ArbG Leipzig hat mit Beschluss vom 13.5.2022 (Az. 12 BVGa 2/22) diese Anträge zurückgewiesen. Dagegen wehrt sich der Arbeitgeber nun vor dem LAG Sachsen.
LAG: Mitarbeiterbefragung ist zulässig
Gegen die Durchführung der geplanten Fragebogenaktion bestehen nach dem Beschluss des LAG Sachsen vom 15.7.2022 (Az. 4 TaBVGa 1/22) dem Grunde nach keine rechtlichen Bedenken.
Das Betriebsverfassungsgesetz kenne zwar keine ausdrückliche gesetzliche Vorschrift über die Zulässigkeit derartiger Maßnahmen. Das besage aber noch nicht, dass die geplante Maßnahme allein deshalb unzulässig wäre. Es ist vielmehr in erster Linie danach zu fragen, ob die Fragen sich ihrem Inhalt nach auf die Aufgaben des Betriebsrats beziehen, wie sie im Betriebsverfassungsgesetz festgelegt sind und ob dabei der Zuständigkeitsbereich eingehalten wird. Wenn und soweit dies der Fall ist, sei es grundsätzlich Sache des pflichtgemäßen Ermessens der Betriebsverfassungsorgane, in welcher Weise sie ihre gesetzlichen Aufgaben wahrnehmen wollen, soweit nicht das Gesetz hierfür ausdrückliche Bestimmungen insbesondere Einschränkungen enthält.
Der Informationsaustausch zwischen Arbeitnehmern und ihren gewählten Vertretern sei nicht in der Form kanalisiert und eingeschränkt, dass er lediglich in den im Gesetz ausdrücklich als Institution vorgesehenen Formen erfolgen könnte, insbesondere in der Sprechstunde und in der Betriebs- oder Abteilungsversammlung. Die Betriebsversammlung hat kein Monopol für den Dialog zwischen der Arbeitnehmerschaft und ihren gewählten Vertretern.
Die Möglichkeit einer derartigen Befragung bestehe jedenfalls dann, wenn die gewählte Art der Informationsbeschaffung oder des Informationsaustauschs nicht zu über das Gesetz hinausgehenden Eingriffen in die Arbeitgebersphäre führe. Das sei bei der vorgesehenen Fragenbogenaktion aber nicht der Fall. Die Fragebogen sollen zu Hause ausgefüllt und lediglich zu einem bestimmten Zeitpunkt im Betriebsratsbüro in einen Behälter geworfen werden. Ein nennenswerter Zeitaufwand oder eine Störung des Betriebsablaufs sei dadurch kaum zu befürchten. Es ist auch nicht ersichtlich und von der Antragsgegnerin nichts dafür vorgetragen worden, dass die Fragebogenaktion nennenswerte Kosten verursachen würde, so dass etwa gegen die Kostentragungspflicht durch den Arbeitgeber nach § 40 Abs. 1 BetrVG irgendwelche Bedenken geltend gemacht werden könnten.
Nach den genannten Rechtsgrundsätzen ist von der grundsätzlichen Zulässigkeit einer Mitarbeiterbefragung durch den Betriebsrat auszugehen. Es besteht keine Verpflichtung des Betriebsrats, den Arbeitgeber vorab um Zustimmung zu der konkreten Mitarbeiterbefragung zu ersuchen. Der Betriebsrat nimmt selbstständig die Interessen der Beschäftigten wahr. Seine Aufgaben führt er unabhängig von Weisungen des Betriebes aus. Seine Funktion als unabhängiges Organ der Mitarbeitervertretung steht einer vorausgegangenen Inhaltskontrolle der beabsichtigten Mitarbeiterbefragung entgegen. Der Betriebsrat entscheidet in eigenem Ermessen über den Inhalt der Fragebögen.
Wichtig für die Praxis
Belegschaftsbefragungen sind ein zentrales Werkzeug des Arbeitsschutzes. Während präventiver Arbeitsschutz vom Beobachten von Prozessen und entsprechenden Anpassungen lebt, ist insbesondere bei psychischen Belastungen (siehe auch Psychische Belastung der Beschäftigten: Wie sollen die Betriebe damit umgehen?) das Aufdecken belastender Faktoren ungleich schwerer. Befragungen können hier ein zentraler Ansatz sein.
Auch der Betriebsrat hat im Arbeitsschutz nach § 87 Abs. 1 Nrn. 7 und 14 BetrVG wichtige Aufgaben wahrzunehmen. Die vorliegende Entscheidung macht nun deutlich, dass die Mittel, derer sich der Betriebsrat dabei bedienen darf, auch Mitarbeiterbefragungen umfassen können, wenn sichergestellt ist, dass durch diese nicht unrechtmäßig in die Arbeitgebersphäre eingegriffen wird. Eine vorherige Abstimmung mit dem Arbeitgeber ist dabei nicht erforderlich.