Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit einer Betriebsratswahl. Anforderungen einer öffentlichen Stimmauszählung im Rahmen einer Betriebsratswahl. Zurverfügungstellung eines ausreichenden Platzangebots für Interessierte der Auszählung beizuwohnen unter den Bedingungen der Einhaltung des Corona-begingten Mindestabstandes
Leitsatz (redaktionell)
Nach § 18 Abs. 3 Satz 1 BetrVG nimmt der Wahlvorstand unverzüglich nach Abschluss der Wahl öffentlich die Auszählung der Stimmen vor. Öffentlichkeit im Sinne dieser Vorschriften ist nicht die allgemeine Öffentlichkeit, sondern die Betriebsöffentlichkeit. Die dazu gehörenden Personen, vor allem die Arbeitnehmer des Betriebs, müssen einen ungehinderten Zugang zum Ort der Stimmauszählung erhalten. Dabei ist es ohne Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit bei einem zu geringen Fassungsvermögen des Auszählungsraumes zulässig, weiteren Personen den Zutritt zu versagen. Allerdings darf der Raum, in dem die Auszählung stattfindet, nicht von vornherein so klein gewählt werden, dass nur eine im Verhältnis zur Größe der Belegschaft allenfalls unbedeutende Zahl von Beschäftigten der Stimmauszählung beiwohnen kann. Die Wahlbeobachter müssen daher weder jede Entscheidung des Wahlvorstandes zur Kenntnis nehmen können, noch diese "Mitlesen" können.
Normenkette
BetrVG § 18 Abs. 3 S. 1; WO § 13; SächsCoronaSchVO § 3 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Zwickau (Entscheidung vom 28.11.2022; Aktenzeichen 4 BV 4/22) |
Tenor
1. Die Beschwerden der Beteiligten zu 7. und 8. gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Zwickau vom 28.11.2022 - 4 BV 4/22 - werden zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird für die Beteiligten zu 7. und 8. zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.
Die Beteiligte zu 7. (im Folgenden = Arbeitgeberin) betreibt mit ca. 11.500 Arbeitnehmer/innen in ... ein Werk zur Herstellung von Automobilen. Der Beteiligte zu 8. (im Folgenden = Betriebsrat) ist der im Betrieb der Arbeitgeberin gewählte 37köpfige Betriebsrat.
Am 15.07.2021 fasste der damalige Betriebsrat, dessen Mitglied der Beteiligte zu 4. war, den Beschluss, für die Betriebsratswahl im Jahr 2022 einen neunköpfigen Wahlvorstand zu bestellen, benannte die Mitglieder und als Vorsitzende, Frau ... (vgl. Anlagen BR 1 zum Schriftsatz des Betriebsrats vom 22.08.2022; Bl. 146 ff. d. A. 1. Instanz). In seiner Sitzung am 08.12.2021 fasste der damalige Betriebsrat den Beschluss, den Wahlvorstand um sechs namentlich benannte Personen zu erweitern (vgl. Anlage BR 4 zum Schriftsatz des Betriebsrats vom 22.08.2022; Bl. 151 d. A. 1. Instanz). In der Sitzung des Betriebsrats am 14.03.2022 erfolgte der Beschluss zur Erweiterung des Wahlvorstandes um zwei weitere namentlich benannte Personen (vgl. Anlage BR 5 zum Schriftsatz des Betriebsrats vom 22.08.2022; Bl. 152 d. A. 1. Instanz). Ersatzmitglieder wurden nicht bestellt.
Mit E-Mail vom 16.11.2021 teilte der Beteiligte zu 4. der Vorsitzenden des Wahlvorstandes mit, dass ihn die alternative Gewerkschaft Zentrum-Automobil e.V. als Beauftragten in den Wahlvorstand delegiert habe. Frau ... teilte dem Beteiligten zu 4. daraufhin mit E-Mail vom 26.11.2021 (Anlage BR 6 zum Schriftsatz des Betriebsrats vom 22.08.2022; Bl. 153 d. A. 1. Instanz), mit, dass das Anliegen, dem Wahlvorstand als nichtstimmberechtigtes Mitglied beizuwohnen mangels Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen abgelehnt werde.
Mit Wahlausschreiben vom 16.11.2021 (Bl. 42 d. A. 1. Instanz), welches am 18.11.2022 öffentlich im Betrieb bekannt gemacht wurde und welches von Frau ... als Vorsitzender des Wahlvorstandes und Herrn ... als stellvertretenem Vorsitzenden des Wahlvorstandes unterschrieben ist, wurde mitgeteilt, dass die Betriebsratswahl im Betrieb der Arbeitgeberin von Dienstag, 15.03.2022, 08:00 Uhr bis Donnerstag, 17.03.2022, 10:00 Uhr stattfinden werde und Briefwahlunterlagen bis zum 17.03.2022, 10:00 Uhr, beim Wahlvorstand eingegangen sein müssten. Des Weiteren wird darauf hingewiesen, dass die öffentliche Stimmauszählung am 17.03.2022 ab 11:00 Uhr im Informations- und Besucherzentrum, Raum ... stattfinden werde. Das Wahlausschreiben wurde zeitgleich in die sämtlichen Beschäftigten von der Arbeitgeberin zur Verfügung gestellte Mitarbeiter-App eingestellt.
Am 13.01.2022 wurden die vom Wahlvorstand als gültig angesehenen Wahlvorschläge (Bl. 43 d. A. 1. Instanz) ausgehängt. Darin sind als Wahlvorschlag 1, Kennwort ..., als Listenvertreter der damalige Vorsitzende des Betriebsrats und 48 wählbare Personen und als Wahlvorschlag 2, Kennwort ..., als Listenvertreter der Beteiligte zu 5. und sechs wählbare Personen, die Beteiligten zu 1. bis 6., genannt.
Unter dem 13.02.2022 wandte sich der Beteiligte zu 5. mit einem "Auskunftsersuchen" (Bl. 32/33 d. A. 1. Instanz) an die Vorsitzende des Wahlvorstandes, welches diverse Fragen zum Briefwahlverfahren und zur Wahl/Stimmabgabe enthielt. Die Vorsitzende des Wahlvorstandes lehnte die Beantwortung der Anfrage mit E-Mail vom 17.02.2022 (Bl....