Entscheidungsstichwort (Thema)

Verwirkung. Verwirkung des Klagerechts. Zeitablauf. Treuwidrige Rückgruppierung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei der Beurteilung, ob Verwirkung gegeben ist, muss das Zeitmoment in Wechselwirkung zu dem ebenfalls erforderlichen Umstandsmoment gesetzt werden. Je stärker das gesetzte Vertrauen oder die Umstände sind, die eine Geltendmachung des Anspruchs dem Anspruchsgegner unzumutbar machen, desto kürzer kann das erforderliche Zeitmoment sein und um so schneller kann der Anspruch verwirken.

2. Eine Klagerücknahme für sich genommen ist nicht geeignet, das Umstandsmoment der Verwirkung zu begründen. Auch aus der Tatsache, dass eine Partei nach Klagerücknahme untätig geblieben ist, ergibt sich nichts anderes. Zeitablauf und Untätigkeit eines Anspruchsberechtigten reichen für sich allein genommen nicht aus, den Verwirkungseinwand zubegründen. Der Anspruchsberechtigte muss unter solchen Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erwecken konnten, er wolle sein Recht nicht mehr geltend machen.

 

Normenkette

BGB §§ 242, 611; TVöD § 37 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Leipzig (Urteil vom 20.03.2008; Aktenzeichen 16 Ca 5253/07)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 20.04.2011; Aktenzeichen 4 AZR 368/09)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 20.03.2008 – 16 Ca 5253/07 – abgeändert:

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab dem 01.01.2004 Vergütung gemäß der Vergütungsgruppe IV b BAT-O und ab dem 01.10.2005 Vergütung gemäß der Entgeltgruppe 9 des TVöD zuzüglich Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus den jeweils rückständigen Bruttodifferenzbeträgen zwischen den Vergütungsgruppen V b und IV b BAT-O bzw. 8 und 9 TVöD für die Monate bis einschließlich November 2007 seit dem 18.12.2007 und für die Monate ab Dezember 2007 ab dem 1. der jeweiligen Folgemonate zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits einschließlich des Berufungsverfahrens zu tragen.

2. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung der Klägerin.

Die am …1957 geborene Klägerin ist Mitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Sie verfügt über einen Facharbeiterabschluss als Köchin und über ein abgeschlossenes Fachschulstudium als Wirtschaftsleiterin. Seit dem 11.12.1978 ist sie bei der beklagten …, die der Vereinigung Kommunaler Arbeitgeberverbände angehört, beschäftigt. Zunächst erfolgte die Beschäftigung als Köchin bzw. Krippenhelferin, ab 1984 als Wirtschaftsleiterin in Kindertagesstätten. Unter § 2 des Arbeitsvertrages aus dem Jahr 1991 (Bl. 13 d. A.) vereinbarten die Parteien die Anwendbarkeit der Vorschriften des Bundes-Angestelltentarifvertrages-Ost (BAT-O) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen.

Mit Wirkung ab dem 02.12.1992 wurde der Klägerin die Tätigkeit einer Sachbearbeiterin für wirtschaftliche Jugendhilfen zunächst vorübergehend und ab dem 01.04.1993 dauerhaft übertragen. Gemäß Änderungsverträgen vom 13.05.1993 (Bl. 18 d. A.) und 06.01.1994 (Bl. 19 d. A.) erhielt die Klägerin hierfür Vergütung nach der Vergütungsgruppe V b BAT-O. Mit Schreiben vom 19.01.1995 (Bl. 20 d. A.) teilte die Beklagte der Klägerin Folgendes mit:

Sehr geehrte Frau …,

bei einer Überprüfung Ihrer allgemeinen Zulage haben wir festgestellt, dass Sie seit dem 01.07.1993 unterbezahlt werden.Entsprechend ihrer Eingruppierung in Vergütungsgruppe V b Fallgruppe 1 b nach BAT-O/ATV steht Ihnen eine allgemeine Zulage nach § 2 Abs. 2 (c) Tarifvertrag über Zulagen an Angestellte zu; erhalten haben Sie jedoch die Zulage nach § 2 Abs. 2(b). (…).

Entsprechend eines Änderungsvertrages vom 25.03.1997 (Bl. 21 d. A.) erhielt die Klägerin ab dem 01.04.1997 eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe IV b BAT-O. Mit Schreiben vom 21.01.2003 (Bl. 22 d. A.) teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie habe sämtliche Stellen einer Bewertungsüberprüfung unterzogen. Die Überprüfung der Stelle der Klägerin habe eine Bewertung mit der Vergütungsgruppe V b ergeben. Sie sei daher in die Vergütungsgruppe V b Fallgruppe 1 a ATV eingruppiert. Die neue Eingruppierung werde ab dem 01.02.2003 gehaltswirksam. Entsprechend erhielt die Klägerin ab dem 01.02.2003 eine verringerte Vergütung.

Mit Schreiben vom 10.02.2003 (Bl. 23 d. A.) machte die Klägerin einen Anspruch auf Bezahlung nach der Vergütungsgruppe IV b BAT-O geltend. In der Folge erhob sie, vertreten durch die DGB Rechtsschutz GmbH, am 24.11.2003 Klage vor dem Arbeitsgericht Leipzig – 16 Ca 8469/03 – auf Feststellung, dass sie über den 31.01.2003 hinaus nach der Vergütungsgruppe IV b BAT-O zu vergüten sei. Ausweislich des Protokolls der Kammerverhandlung vom 26.08.2004 (Bl. 273/274 d. A.) wurde in dieser nach Antragstellung der Sach- und Streitstand erörtert. Das Protokoll endet mit den Satz: „Die Klägervertreterin erklärt Klagerücknahme. – vorgespielt und genehmigt -”. Der Vorsitzend...

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