Entscheidungsstichwort (Thema)
„Verbotene Eigenmacht” Befriedigung des Lohnanspruches durch Entnahme von Geld aus Barkasse als Kündigungsgrund/Arbeitnehmerin als „Besitzdienerin”/Eintragung als Betriebsleiter in Handwerksrolle allein begründet keine rechtsgeschäftliche Vertretungsbefugnis
Leitsatz (redaktionell)
Durch Barentnahmen geschuldeter Nettolohnbeträge begeht der Arbeitnehmer eine verbotene Eigenmacht i.S.v. § 858 Abs. 1 BGB. Nach dieser Regelung handelt widerrechtlich, wer dem Besitzer ohne dessen Willen den Besitz entzieht oder ihn im Besitz stört, sofern nicht das Gesetz die Entziehung oder die Störung gestattet. Dieses Verhalten ist geeignet, eine verhaltensbedingte Kündigung zu begründen.
Normenkette
BGB §§ 626, 855, 858 Abs. 1; HandwO § 7
Verfahrensgang
ArbG Bautzen (Urteil vom 19.02.2003; Aktenzeichen 10 Ca 10349/02) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bautzen vom 19. Februar 2003 – 10 Ca 10349/02 – wird auf Kosten der Klägerin
zurückgewiesen.
Revisionszulassung: keine.
Tatbestand
Die Parteien streiten auf die Berufung der im Ersten Rechtszug unterlegenen Klägerin weiter darüber, ob das sie verbindende Arbeitsverhältnis aufgrund außerordentlicher fristloser Arbeitgeberkündigung vom 11.07.2002, der Klägerin zugegangen am selben Tag, sein Ende gefunden hat.
Von der erneuten Darstellung des Tatbestandes wird aufgrund der Regelung in § 69 Abs. 2 ArbGG n. F. abgesehen und stattdessen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen. Lediglich mit Blick auf die Berufungsverhandlung ist ergänzend festzuhalten, dass ursprünglich der Ehemann der Klägerin, der, Inhaber der Einzelfirma … gewesen ist. Diese unterhielt bereits eine Produktionsstätte, die von der beklagten GmbH übernommen wurde. Diese hat im Jahre 2002 auch alle Arbeitnehmer übernommen. Herr … wurde als Betriebsleiter der Beklagten in die Handwerksrolle eingetragen.
Entscheidungsgründe
I.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Denn die – ihrerseits zulässige – Klage ist gleichfalls unbegründet. Die streitgegenständliche außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten ist rechtswirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 11.07.2002 aufgelöst.
Die Berufungskammer folgt im Wesentlichen den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils, weswegen von deren erneuter Darstellung im Wesentlichen abgesehen werden kann.
Lediglich mit Blick auf das Berufungsverfahren sind die folgenden ergänzenden Ausführungen veranlasst:
1.
Nach dem Ergebnis der Berufungsverhandlung kann die Klägerin den gewählten Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG stellen. Denn es ist davon auszugehen, dass es sich bei der Klägerin stets um eine Arbeitnehmerin gehandelt hat, deren Arbeitsverhältnis insbesondere in demselben Betrieb ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat. Denn die Vorbeschäftigungszeiten der Klägerin bei dem früheren Inhaber der Einzelfirma … – ihrem Ehemann … – sind aufgrund der Regelung in § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB berücksichtigungsfähig. Bei Übernahme der Produktionsstätte und sämtlicher Arbeitnehmer ist von einem Betriebsinhaberwechsel auszugehen. Dies hat den Eintritt der Beklagten in sämtliche Rechte und Pflichten aus dem zwischen der Klägerin und dem seinerzeit begründeten Arbeitsvertrag bewirkt.
2.
Die außerordentliche fristlose Kündigung ist jedenfalls deshalb unwirksam, weil es zu den Lohnentnahmen aus der Bargeldkasse gekommen ist.
Es steht außer Streit, dass die Klägerin, ihr Ehemann sowie die Tochter … Nettolohnansprüche gegen die Beklagte in Höhe der Beträge hatten, über welche die Barentnahmen vorgenommen wurden.
Allerdings war die Klägerin zur Entnahme weder schuldrechtlich noch besitzrechtlich befugt.
a) Wie jedes Schuldverhältnis erlischt auch ein durch Arbeit begründeter Lohnanspruch nach § 362 Abs. 1 BGB dadurch, dass die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird. Nicht erlischt es dadurch, dass sich der Gläubiger selbst wegen seiner Ansprüche befriedigt. Dies ist aber durch die Barentnahmen geschehen.
Außerdem hat die Klägerin durch die Barentnahmen verbotene Eigenmacht i. S. des § 858 Abs. 1 BGB gegen die Beklagte geübt. Nach dieser Regelung handelt widerrechtlich (verbotene Eigenmacht), wer dem Besitzer ohne dessen Willen den Besitz entzieht oder ihn im Besitz stört, sofern nicht das Gesetz die Entziehung oder die Störung gestattet.
Besitzer des Geldes war ausschließlich die Beklagte bzw. waren Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft im Rechtssinne ausschließlich die Personen, die zur organschaftlichen Vertretung der Beklagten befugt waren. Die Klägerin gehörte nicht zu diesem Personenkreis. Vielmehr handelte es sich bei ihr – wie bei jedem Arbeitnehmer – lediglich um eine sog. Besitzdienerin i. S. der Regelung des § 855 BGB. Danach gilt: Übt jemand die tatsächliche Gewalt über eine Sache für einen anderen in dessen Haushalt oder Erwerbsgeschäft oder in einem ähnlichen Verhältnis aus, vermöge dessen er den sich auf die Sache beziehenden Weisungen des anderen Folge zu leisten hat, so ist ...