Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksame Kündigung im Rahmen eines im Insolvenzverfahren abgeschlossenen Interessenausgleichs mit Namensliste bei grob fehlerhafter Sozialauswahl. Kündigungsschutzklage bei unzureichenden Darlegungen des Insolvenzverwalters zur Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Sozialauswahl ist unter Beachtung der in § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Hs. 1 InsO genannten Sozialdaten (Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten) grob fehlerhaft, wenn ein ins Auge springender (evidenter) schwerer Fehler vorliegt und der Interessenausgleich jede soziale Ausgewogenheit vermissen lässt.
2. Ist die gekündigte Arbeitnehmerin in der Gruppe der Maschinenführer mit weitem Abstand die älteste und am längsten betriebszugehörige Arbeitnehmerin und hat sie dementsprechend aufgrund des Interessenausgleichs einen Punktwert von 151 erreicht und der nächstfolgende nicht gekündigte Maschinenführer nur 102 Punkte, erweist die die Sozialauswahl im Rahmen des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Hs. 1 als grob fehlerhaft.
3. Bei beabsichtigter Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur (§ 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG mit § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Hs. 2 InsO) hat der Insolvenzverwalter darzulegen, welche konkrete Personalstruktur die Betriebsparteien schaffen wollten und aus welchem Grund dies erforderlich war, so dass ersichtlich wird, dass die vereinbarte Altersgruppenbildung zur Erreichung des Ziels der sanierungsbedingten Schaffung einer ausgewogenen Altersstruktur angemessen und erforderlich ist. Die Vorlage des Interessenausgleichs kann nur dann ausreichen, wenn in diesem die erforderlichen Angaben bereits enthalten sind.
4. Schlagwortartige Bezeichnungen reichen nicht aus, wenn damit nicht überprüft werden, ob die Ungleichbehandlung durch das verfolgte Ziel gerechtfertigt ist. Das bloße Bestreben, das Durchschnittsalter der Beschäftigten zu reduzieren, ist für sich allein betrachtet kein legitimes Ziel.
5. Der Begriff der Personalstruktur in § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Hs. 2 InsO ist nicht mit dem der Altersstruktur gleichzusetzen sondern im Hinblick auf die Gesetzesbegründung, nach der der Schuldnerin oder dem Übernehmer funktions- und wettbewerbsfähige Beschäftigte zur Verfügung stehen sollen, in einem umfassenderen Sinn zu verstehen.
6. Was unter einer “ausgewogenen„ Personalstruktur zu verstehen ist, ist gesetzlich nicht bestimmt. Der insoweit den Betriebsparteien zugestandener weite Gestaltungsspielraum hat sich stets an den von ihnen verfolgten und zur Sanierung des Unternehmens erforderlichen Zielen auszurichten, die ihrerseits mit den Interessen der betroffenen Beschäftigten abzuwägen sind.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 3. Alt., Abs. 3 S. 1; InsO § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Hs. 1; InsO § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Hs. 2
Verfahrensgang
ArbG Dresden (Entscheidung vom 14.11.2016; Aktenzeichen 13 Ca 3686/15) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 14.11.2016 - 13 Ca 3686/15 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen ordentlichen Kündigung, die die Beklagte auf einen im Rahmen eines Insolvenzverfahrens ab geschlossenen Interessenausgleich mit Namensliste stützt.
Die am 06.03.1954 geborene Klägerin verfügt über eine abgeschlossene Berufsausbildung als Wartungsmechanikerin für Datenverarbeitungs- und Büromaschinen, Spezialisierung Schreibtechnik (vgl. Facharbeiterzeugnis vom 31.08.1972 in Anlage B 27 zum Schriftsatz der Beklagten vom 06.07.2016; Bl. 401/402 d. A.) und ist seit dem 01.02.2009 durchgängig Mitglied der IG Metall (vgl. Bestätigung der Mitgliedschaft vom 18.08.2016; Anlage K 16 zum Schriftsatz der Klägerin vom 05.09.2016; Bl. 695 d. A.). Seit dem 01.07.1972 ist die Klägerin bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern beschäftigt. Mit Wirkung ab dem 01.11.2010 änderten die Parteien die Tätigkeitsbezeichnung der Klägerin bei unveränderter Vergütung nach der Lohngruppe 7 dahingehend, dass die Klägerin ab diesem Zeitpunkt als Maschinenführerin I (Einpressroboter) und nicht mehr als Schlosser III beschäftigt wurde (vgl. Anlage K 4 zur Klageschrift vom 14.12.2015; Bl. 10 d. A.).
Die Beklagte ist Systemlieferantin für Elektronik-Gehäuse. Sie entwickelt und produziert insoweit Werkzeuge sowie Gehäuse aus Kunststoff und Metall als Trägerbaugruppen für elektronische Bauteile. Unter dem 08.10.2009 unterzeichneten die Beklagte und die IG Metall einen "Anerkennungstarifvertrag" (Anlage B 12 zum Schriftsatz der Beklagten vom 24.02.2016; Bl. 133 ff. d. A.), nach dessen Inhalt im Unternehmen der Beklagten die Tarifverträge für Arbeiter, Angestellte und Auszubildende der Metall- und Elektroindustrie des Tarifgebietes Sachsen Anwendung finden. Unter dem 25.09.2014 vereinbarten die Beklagte und die IG Metall eine "Tarifliche Sonderregelung" (Anlage B 13 zum Schriftsatz der Beklagten vom 24.02.2016; Bl. 137 ff. ...