Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung von Gesetzen. Zeitpunkt des Antrags auf Bestimmung eines Termins zur streitigen Verhandlung. Ankündigung des Nichterscheinens der Parteien als Antrag auf Anberaumung eines Verhandlungstermins

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Antrag auf Bestimmung eines Termins zur streitigen Verhandlung nach § 54 Abs. 5 Satz 2 und 3 ArbGG kann jedenfalls dann auch schon vor der Anordnung des Ruhens des Verfahrens nach § 54 Abs. 5 Satz 1 ArbGG gestellt werden, wenn aus konkretem Anlass eine Einigung der Parteien in der Güteverhandlung nicht zu erwarten ist und diese deshalb, insbesondere nach Absprache, nicht zum Termin erscheinen.

Ob bei dieser Sachverhaltskonstellation eine Ruhensanordnung noch ergehen muss oder eine solche als "Förmelei" unterbleiben und sofort Termin zur streitigen Verhandlung bestimmt werden kann, bedarf hier keiner Entscheidung.

2. Erfolgt vor der Güteverhandlung eine Mitteilung an das Gericht darüber, dass beide Parteien zum Gütetermin nicht erscheinen werden und wird diese Mitteilung mit einer Bitte um "weitergehende prozessleitende Verfügungen" verbunden, ist diese Bitte als Antrag auf Bestimmung eines Termins zur streitigen Verhandlung auszulegen.

 

Leitsatz (redaktionell)

Für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgebend, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist. Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen.

 

Normenkette

ArbGG § 54 Abs. 5 Sätze 2-3; BGB §§ 133, 157; ArbGG § 56 Abs. 1; ZPO §§ 139, 233, 251; TzBfG § 17

 

Verfahrensgang

ArbG Dresden (Entscheidung vom 25.11.2021; Aktenzeichen 6 Ca 2257/20)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 21.06.2023; Aktenzeichen 7 AZR 234/22)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 25.11.2021, Az. 6 Ca 2257/20, aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass die Klage nicht als zurückgenommen gilt.

2. Der Rechtsstreit wird zur Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Berufungsverfahrens an das Arbeitsgericht Dresden zurückverwiesen.

3. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten hier um die Frage, ob das vorliegende Verfahren durch eine nach § 54 Abs. 5 Satz 4 ArbGG fingierte Klagerücknahme beendet ist. In der Sache selbst steht die Wirksamkeit einer Befristung des zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnisses im Streit.

Der Kläger war seit 01.06.2017 als Facharzt für Chirurgie bei der Beklagten zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt i.H.v. 11.500,- € beschäftigt. Der Arbeitsvertrag enthält eine Befristung zu dem Tag, an welchem der Kläger das 67. Lebensjahr vollendet. Nach bisher im Verfahren unbestrittenem Vortrag des Klägers vereinbarten die Parteien im April 2020 mündlich eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses zunächst bis 30.09.2020. Nach Wechsel der Geschäftsführung wurde dem Kläger mitgeteilt, dass man von einer Beendigung zum 03.09.2020 ausgehe. An diesem Tag hat der Kläger das 67. Lebensjahr vollendet.

Gegen die Beendigung aufgrund Befristung wandte sich der Kläger mit Klageschriftsatz vom 24.09.2020, welcher am selben Tag bei Gericht eingegangen ist und der Beklagten am 29.09.2020 zugestellt wurde.

Das Arbeitsgericht hat nach Eingang der Klage Gütetermin auf den 20.10.2020 bestimmt. Mit Schriftsatz vom 13.10.2020 teilte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit, dass die Prozessbevollmächtigten vereinbart hätten, dass weder die Parteien noch die Vertreter zum Gütetermin erscheinen werden. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers bestätigte dies mit Schriftsatz vom 16.10.2020 wie folgt:

„... und bestätigen, dass auch auf der Klägerseite vom Erscheinen zum Gütetermin am 20.10.2020 abgesehen wird.

Das Gericht wird im Übrigen weitergehende prozessleitende Verfügungen gebeten.“

Dem folgend erschien nach Aufruf der Sache im Gütetermin niemand. Das Arbeitsgericht ordnete im Beschlusswege das Ruhen des Verfahrens wie folgt an:

„Gemäß § 54 Abs. 5 ArbGG wird das Ruhen des Verfahrens angeordnet.“

Nach Ablauf von 6 Monaten, in denen seitens der Parteien keine Schriftsätze bei Gericht eingingen, verfügte der Vorsitzende am 23.04.2021, dass das Verfahren als erledigt betrachtet werde, weil die Sache länger als 6 Monate von keiner der Parteien betrieben wurde. Der Rechtsstreit wurde aus der Statistik ausgetragen, hinsichtlich der Kosten abgerechnet und weggelegt. Mit Schreiben vom 07.05.2021 bat der Klägervertreter „nochmals“ um Sachstandsmitteilung zum weiteren Verfahrensablauf. Daraufhin wurde ihm mit gerichtlichem Schreiben vom 11.05.2021 mitgeteilt, dass es keinen weiteren Verfahrensablauf geben werde, weil die Klage als zurückgenommen gelte.

Mit Schriftsatz vom 26.05....

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