Entscheidungsstichwort (Thema)
Annahmeverzug des Arbeitgebers bei Betriebsschließung. Anrechnung anderweitigen böswillig unterlassenen Zwischenverdienstes auf das Annahmeverzugsentgelt. Böswillig unterlassener anderweitiger Zwischenverdienst
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Unmöglichkeit der Beschäftigung zu den bisherigen Bedingungen befreit den Arbeitgeber nicht von der Pflicht zur Zahlung des Entgelts. Zwar führt eine Betriebsschließung zur Annahmeunmöglichkeit, hier in Form der Annahmeunfähigkeit (nicht der Annahmeunwilligkeit). Die Betriebsschließung beruht aber auf der Entscheidung des Arbeitgebers und stellt somit eine Verwirklichung des typischen Wirtschaftsrisikos des Arbeitgebers dar.
2. Gemäß § 615 S. 2 BGB bzw. § 11 S. 1 Nr. 2 KSchG muss sich der Arbeitnehmer auf seinen Vergütungsanspruch dasjenige anrechnen lassen, was er zu erwerben böswillig unterlässt (hypothetischer Verdienst). Es ist nach beiden Bestimmungen zu überprüfen, ob dem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) sowie unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl (Art. 12 GG) die Aufnahme einer anderweitigen Arbeit zumutbar ist.
3. Böswilliges Verhalten liegt dann vor, wenn der Arbeitnehmer in der Kenntnis, dass für ihn eine anderweitige und zumutbare Arbeitsmöglichkeit besteht, grundlos untätig bleibt, die Arbeitsaufnahme vorsätzlich unterlässt oder vorsätzlich verhindert, dass ihm zumutbare Arbeit angeboten wird. Ausreichend ist das vorsätzliche Außer-Acht-Lassen einer Gelegenheit zur Erwerbsarbeit, die dem Arbeitnehmer bekannt ist. Wann eine andere Arbeit zumutbar ist, bestimmt sich unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach Treu und Glauben.
Normenkette
BGB § 615 S. 1; KSchG § 11 Nr. 2; GG Art. 12 Abs. 1; BGB §§ 242, 293 ff., § 611a Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Leipzig (Entscheidung vom 02.10.2020; Aktenzeichen 12 Ca 1573/19) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 02.10.2020, Az. - 12 Ca 1573/19 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 8.164,00 € brutto abzüglich 3.640,30 € netto erhaltenen Arbeitslosengeldes nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.04.2018 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte zu 57 %, die Klägerin zu 43 %.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Annahmeverzugslohn nach einer rechtskräftig für unwirksam erklärten ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung.
Die Klägerin war jedenfalls seit 1992 bei der Beklagten als ...verkäuferin zu einem monatlichen Bruttogehalt i.H.v. zuletzt 1.580,00 Euro in ... beschäftigt. Die Beklagte sprach der Klägerin unter dem 29.11.2016 eine Kündigung zum 30.06.2017 aus. Hintergrund war die unstreitige Schließung des Betriebes in .... Der hiergegen gerichteten Kündigungsschutzklage gab das Sächsische Landesarbeitsgericht unter dem Az. 9 Sa 447/17 mit rechtskräftigem Urteil vom 24.05.2018 statt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Kündigung wegen fehlender, aber erforderlicher Massenentlassungsanzeige unwirksam sei. Den schon erstinstanzlich zugleich geltend gemachten allgemeinen Weiterbeschäftigungsantrag hatte bereits das Arbeitsgericht rechtskräftig abgewiesen. Eine Verurteilung zur Weiterbeschäftigung scheide aus, weil unstreitig dies der Beklagten aufgrund der inzwischen erfolgten Betriebsschließung unmöglich sei.
Die Klägerin hat über den 30.06.2017 bei der Beklagten nicht gearbeitet. Ihr wurde von der ... eG der Entwurf eines Arbeitsvertrages mit - auszugsweise - folgendem Inhalt vorgelegt:
"1. Tätigkeit:
Die Arbeitnehmerin wird für die Zeit ab 01.09.2017 als Fachverkäuferin angestellt.
Als Arbeitsort werden die Filialen der ... eG vereinbart.
2. Arbeitszeit
a) Für die Tätigkeit der Arbeitnehmerin ist die beim Arbeitgeber geltende regelmäßige Arbeitszeit maßgebend. Sie beträgt 1,0 VAK, ohne die Berücksichtigung der Pausen. ...
6. Vergütung und Verbot der Lohnabtretung
a) die monatliche Brutto-Vergütung beträgt zurzeit:
Gehaltsgruppe III/1 Brutto |
1.403,00 € |
Zzgl. freiwillige Zulage |
111,00 € |
Gesamtgehalt |
1.514,00 € |
...
8. Vertragliche Regelungen
Für den Arbeitsvertrag finden die Regelungen
a) des Manteltarifvertrages
b) des Tarifvertrages zu Entgelten, Sonderzahlungen und Ausbildungsvergütung
c) Tarifvertrag zur Altersvorsorge
für die Mitgliedsunternehmen Handel der ...-Tarifgemeinschaft e.V. Tarifausschuss Sachsen - im Freistaat Sachsen und
d) die Arbeitsanweisungen und Betriebsvereinbarungen ihre volle Anwendung.
..."
Der Entwurf (vorgelegt als Anlage B1, Bl. 74 ff d.A.) war arbeitgeberseitig bereits unterschrieben. Auf den weiteren Inhalt wird Bezug genommen. Als Anlage B2 (Bl. 76 d.A.) legt die Beklagte ein Schreiben an den hier Prozessbevollmächtigten der Klägerin vor. Dort heißt es auszugsweise:
"...
namens und im Auftrag der hier vertretenen ... eG bin ich gehalten, I...