Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. kein Ausschluss der Beschwerde. einstweiliger Rechtsschutz. Ablehnung von Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht. Zulässigkeit der Berufung. Anordnungsgrund. Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Zusicherung für Umzug und Umzugskosten. Trennung von Ehegatten. Erforderlichkeit des Umzugs
Leitsatz (amtlich)
1. Der Streit um die Zusicherung nach § 22 Abs 4 SGB 2 fällt unter den Anwendungsbereich von § 144 Abs 1 S 1 Nr 1 SGG.
2. Voraussetzung für die Bekanntgabefiktion des § 37 Abs 2 S 1 SGB 10 ist die Feststellung des Zeitpunktes, zu dem der maßgebende Verwaltungsakt zur Post gegeben worden ist.
3. Ein Umzug ist erforderlich, wenn ein plausibler, nachvollziehbarer und verständlicher Grund vorliegt, von dem sich auch ein Nichtleistungsempfänger leiten lassen würde.
4. Es gibt keine rechtliche Verpflichtung, dass Ehegatten nach der Trennung weiterhin in einem gemeinsamen Haushalt leben müssen. Eine Pflicht zum Zusammenleben nach einer Trennung oder Scheidung sieht auch der Gesetzgeber weder beim Bezug von Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB 2 noch von Hilfen zum Lebensunterhalt nach dem SGB 12 vor.
5. Zum Anordnungsgrund bei einer zeitlichen Nähe der Entscheidung des Sozialgerichtes zum mitgeteilten Umzugszeitpunkt.
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 23. August 2012 aufgehoben.
Den Antragstellern wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Chemnitz ab Antragstellung Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt M… K…, M… St…, C…, als Bevollmächtigter beigeordnet. Derzeit sind keine Raten zu zahlen. Zahlungen aus dem Vermögen sind nicht zu leisten.
II. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragsteller wenden sich gegen die Ablehnung ihres Prozesskostenhilfeantrags in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes. Mit ihrem Antrag auf einstweilige Anordnung begehrten die Antragsteller vom Antragsgegner die Genehmigung eines beabsichtigten Umzugs nach C… sowie die Übernahme von Umzugskosten.
Die Antragstellerin zu 1 bezieht gemeinsam in Bedarfsgemeinschaft mit ihren Kindern, den Antragstellern zu 2 bis 6, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Sie ist seit dem 14. Oktober 2010 rechtskräftig von ihrem Ehemann geschieden, der seinerseits Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhält. Die Antragstellerin zu 1 bewohnte weiterhin mit ihrem geschiedenen Ehemann eine gemeinsame Wohnung. Dieser hatte keine Zusicherung zu einem Umzug in eine eigene Wohnung erhalten.
Am 31. Mai 2012 beantragte die Antragstellerin zu 1 die Erteilung einer Zusicherung zum beabsichtigten Umzug nach C…. Es sei für sie inzwischen unzumutbar und unerträglich, weiterhin eine gemeinsame Wohnung mit ihrem geschiedenen Ehemann teilen zu müssen. Sie beabsichtige auch deswegen nach C… umzuziehen, da dort eine günstigere Arbeitsmarktlage herrsche und die notwendigen Schulen für ihre Kinder vorhanden seien.
Diesen Antrag lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 5. Juni 2012 ab. Gegen diesen Bescheid, dessen Postaufgabe sich nicht aus der Verwaltungsakte ergibt, legten die Bevollmächtigten der Antragsteller mit Schriftsatz vom 18. Juli 2012 Widerspruch ein.
Bereits am 19. Juni 2012 war der Mietvertrag geschlossen worden. Als Mietbeginn war der 1. Oktober 2012 vereinbart.
Das Sozialgericht hat den Antrag vom 3. August 2012 auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sowie den zugleich gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.
Die Antragsteller wenden sich mit ihrer Beschwerde vom 27. August 2012 gegen die Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten aus beiden Verfahrenszügen sowie die Verwaltungsakte Bezug genommen.
II.
1. Über die Beschwerde kann auch noch nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens, hier des Verfahrens zur Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes, entschieden werden (vgl. zur Zulässigkeit einer rückwirkenden Beschwerdeentscheidung nach rechtskräftigem Abschluss des vorausgegangenen Hauptsacheverfahrens: Sächs. LSG, Beschluss vom 15. Februar 2010 - L 3 AS 570/09 B PKH - JURIS-Dokument Rdnr. 15, m. w. N.; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [10. Aufl., 2012], § 73a Rdnr. 12c; vgl. auch LSG Niedersachsen, Beschluss vom 15. Mai 1995 - L 8 S (Vs) 52/95 - Breithaupt 1995, 735). Denn die Frage, ob der Antragsteller alles Erforderliche getan hat, um vor Wegfall der Rechtshängigkeit des Hauptsacheverfahrens eine Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag zu erwirken, und die Frage, ob der Bevollmächtigte beigeordnet werden konnte mit der Folge, dass der Anspruch gegen die Staatskasse auf Erstattung von Auslagen und Gebühren gemäß §§ 45 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwalts...