Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Betriebskostennachzahlung. nachträgliche Geltendmachung. Zugunstenverfahren. Streitgegenstand bei der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage. Abgrenzung von Mietschulden
Leitsatz (amtlich)
1. Betriebskostennachzahlungen gehören zu den Kosten für Unterkunft und Heizung iS von § 19 S 1 Nr 1, § 22 SGB 2.
2. Ein Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld II umfasst auch die Übernahme der im Bewilligungszeitraum anfallenden Betriebskostennachzahlungen.
3. Eine Frist für die nachträgliche Geltendmachung von Betriebskostennachzahlungen besteht, wenn zuvor ein Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld II gestellt worden ist, nicht.
4. Werden Betriebskostennachzahlungen nach bestandskräftiger Leistungsbewilligung geltend gemacht, handelt es sich um einen Antrag auf Abänderung des Bewilligungsbescheides gem § 40 Abs 1 S 1 SGB 2 iVm § 44 Abs 1 S 1 SGB 10.
5. Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) richtet sich bei einem Antrag nach § 44 SGB 10 nicht nur auf den Bescheid, mit dem die Rücknahme des Bewilligungsbescheides abgelehnt worden ist, sondern auch auf den ursprünglichen Bescheid, auf den der Antrag nach § 44 SGB 10 zielt.
6. Besteht ein Anspruch auf Erbringung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung auf der Grundlage von § 19 S 1 Nr 1, § 22 Abs 1 SGB 2, ist für einen Rückgriff auf § 22 Abs 5 SGB 2 kein Raum, selbst wenn es sich bei den Aufwendungen zu dem Zeitpunkt, zu dem sie im Rahmen eines Antrages nach § 44 SGB 10 geltend gemacht werden, inzwischen um Schulden des Leistungsberechtigten handeln.
7. Schulden iS von § 22 Abs 5 SGB 2 setzen voraus, dass auf eine schuldrechtliche Verpflichtung trotz Fälligkeit nicht geleistet wird. Auf eine Mahnung des Gläubigers kommt es nicht an.
Tenor
I. Die Berufung wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Nummer 1 des Tenors des Gerichtsbescheides des Sozialgerichtes Chemnitz vom 16. Februar 2007 wie folgt neu gefasst wird:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 21. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. März 2006 sowie unter Abänderung des Bescheides vom 16. Juni 2005 verurteilt, den Klägern einmalig 49,02 EUR als Kosten der Unterkunft im Juli 2005 für die Betriebskostennachzahlung für das Jahr 2004 zu zahlen.
II. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger in beiden Instanzen zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger begehren die nachträgliche Übernahme einer Betriebskostennachzahlung für das Jahr 2004.
Die Kläger zu 1. und 2. beziehen seit Januar 2005 Arbeitslosengeld II, der Kläger zu 3. Sozialgeld. Der Bewilligungsbescheid vom 6. Dezember 2004 umfasste den Leistungszeitraum von Januar bis Juni 2005. Auf den Fortzahlungsantrag des Klägers zu 1. vom 12. Mai 2005 erließ die Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 16. Juni 2005, der den Leistungszeitraum von Juli bis Dezember 2005 umfasste. Mit Änderungsbescheid vom 21. Dezember 2005 bewilligte die Beklagte höhere Leistungen für Dezember 2005. Die Bescheide waren jeweils an den Kläger zu 1. adressiert, umfassten aber die Kläger zu 2. und 3. als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft.
Mit Schreiben vom 26. Mai 2005 übersandte die Genossenschaft dem Kläger zu 1., der alleiniger Vertragspartner des Dauernutzungsvertrages für die überlassene Genossenschaftswohnung ist, die Abrechnung der Umlage für die Betriebskosten für die Zeit vom 1. Januar 2004 bis 31. Dezember 2004. Sie machte für diese Abrechnungsperiode eine Nachzahlung in Höhe von 49,02 EUR geltend. Die Genossenschaft kündigte an, dass die Nachzahlung zusammen mit der monatlichen Nutzungsgebühr im Juli 2005 vom Konto des Klägers zu 1. abgebucht werde.
Am 29. November 2005 beantragte der Kläger zu 1. bei der Beklagten die Übernahme dieser Betriebskostennachzahlung.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 21. Dezember 2005 ab. Nach den zivilrechtlichen Bestimmungen (§ 560 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches [BGB]) sei die Nachzahlung am 1. Juli 2005 fällig gewesen. Da der Übernahmeantrag aber erst im November 2005 gestellt worden sei, handle es sich bei der Nachzahlung um Schulden. Mietschulden könnten gemäß § 22 Abs. 5 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) darlehensweise übernommen werden. Da jedoch keine Wohnungslosigkeit drohe, seien die Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllt.
Der Kläger zu 1. legte mit Schreiben vor 26. Dezember 2005 Widerspruch ein und trug vor, dass nicht der Zeitraum maßgeblich sei, in dem die Kosten angefallen seien, sondern der Zeitpunkt der Fälligkeit. Auch sei ihm keine Frist für einen Antrag auf Übernahme der Betriebskostennachzahlung bekannt.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15. März 2006 aus den bereits im angefochtenen Bescheid angegebenen Gründen zurück. Ergänzend verwies sie auf eine Rundverfügung des kommunalen Trägers.
Der Kläger zu 1. hat am 12. April...