Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht. Minderheitsgesellschafter einer GmbH ohne Sperrminorität. Rechtsmacht. abhängige Beschäftigung. selbständige Tätigkeit. leitende Funktion. maßgebend ist Bindung an das willensbildende Organ der Gesellschaft
Leitsatz (amtlich)
Minderheitsgesellschafter einer GmbH ohne Sperrminorität haben dann, wenn sich alle Gesellschafter der GmbH schuldrechtlich verpflichtet haben, Beschlüsse nach ihrer Satzung nur einstimmig zu fassen, die Rechtsmacht, ihnen nicht genehme Weisungen von sich abzuwenden.
Orientierungssatz
Ein in einer leitenden Funktion in einer GmbH Tätiger ist nicht deshalb als selbständig Tätiger anzusehen, weil er gegenüber den Arbeitnehmern der GmbH Arbeitgeberfunktionen ausübt. Maßgebend ist vielmehr die Bindung an das willensbildende Organ, in der Regel die Gesamtheit der Gesellschafter.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 11. November 2010 geändert. Es wird festgestellt, dass die Klägerin in der Zeit vom 1. September 2007 bis 30. März 2010 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag. Insoweit wird die Klage abgewiesen.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Beklagte hat der Klägerin vier Fünftel ihrer außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist der sozialversicherungsrechtliche Status der Klägerin und Berufungsbeklagten (im Folgenden: Klägerin) seit 1. September 2007.
Die Klägerin ist am … 1965 geboren und hat eine Ausbildung zur Wirtschaftskauffrau absolviert. Seit 1. Juni 1996 arbeitet sie bei der Beigeladenen zu 4., seit 1. Juli 2004 ist sie Gesellschafterin der Beigeladenen zu 4. mit einem Gesellschaftsanteil von 20 %.
Am 1. Dezember 2006 schloss die Klägerin mit der Beigeladenen zu 4. einen Vertrag, wonach sie ab 1. Januar 2007 die eigenverantwortliche Leitung des kaufmännischen Bereichs der Beigeladenen zu 4. einschließlich der vollständigen Personalverantwortung aller in diesem Bereich beschäftigten Mitarbeiter übernahm und gleichzeitig in die Geschäftsleitung eintrat (§ 1 Abs. 2 des Vertrages). Nach § 1 Abs. 3 des Vertrages hat sie uneingeschränkte Handlungsvollmacht und Verfügungsvollmacht über das Betriebskonto und nimmt alle Rechte und Pflichten des Arbeitgebers im Sinne der arbeits- und sozialrechtlichen Vorschriften wahr; § 1 Abs. 4 enthält ihre Erklärung, sie sei aufgrund der ausgeübten Tätigkeit und ihrer Stellung im Betrieb bereit, das Unternehmen weiterhin wirtschaftlich zu unterstützen, beispielsweise durch Übernahme von Bürgschaften. Nach § 1 Abs. 5 des Vertrages entscheidet sie selbst unter Wahrung der Interessen des Unternehmens über die Aufnahme etwaiger Nebentätigkeiten oder Ehrenämter. Nach § 2 Abs. 1 war als monatliches Entgelt der Betrag von "zunächst brutto 4.750,00 EUR" vereinbart, nach Abs. 2 der Vorschrift erhält sie zusätzlich eine Gewinnbeteiligung in Höhe von 10 % des Jahresüberschusses entsprechend der anzustellenden Gewinn- und Verlustrechnung nach Abzug der Verlustvorträge, aber vor Abzug der anfallenden Steuern und vor Abzug der Tantiemen selbst. Mit Abs. 3 erklärte sie sich bereit, die Gewinnbeteiligung dem Unternehmen mit Fälligkeit als Darlehen zur Verfügung zu stellen. Die Arbeitszeit, den Arbeitsort und die Ausgestaltung ihrer Tätigkeit bestimmt sie gemäß § 3 des Vertrages selbständig unter Berücksichtigung der Interessen des Unternehmens, dabei wurde von einer Vollzeittätigkeit ausgegangen.
Aus einer Mitgliedsbescheinigung der Beklagten und Berufungsklägerin (im Folgenden: Beklagte) vom 12. Juni 2007 geht hervor, dass die Klägerin seit 1. September 2007 Mitglied bei der Beklagten ist. Mit Schreiben vom 24. Juli 2007 an die Beklagte beantragte die Klägerin die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung gemäß § 28h Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV).
In einem von der Klägerin bereits am 28. November 2006 unterschriebenen “Feststellungsbogen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung eines Gesellschafter-Geschäfts-führers einer GmbH im Rahmen eines Anfrageverfahrens gemäß § 7a Abs. 1 Satz 2 SGB IV„ wird angegeben, der Bruder der Klägerin, M… R…, halte eine Stammeinlage von 20 %, ihre Tante C… W… eine Stammeinlage von 27 %, ihr Cousin T… M… eine Stammeinlage von 33 % und sie selbst eine Stammeinlage von 20 %. Die Klägerin könne durch Sonderrechte Gesellschaftsbeschlüsse herbeiführen oder verhindern. Ihre Tätigkeit sei aufgrund von familienhaften Rücksichtnahmen durch ein gleichberechtigtes Nebeneinander zu anderen Gesellschaftern geprägt. Ihre durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit betrage 50 bis 60 Stunden. Sie unterliege keinem Weisungsrecht der Gesellschaft bezüglich Zeit, Ort und Art der Beschäftigung und könne ihre Tätigkeit in der Gesellschaft frei bestimmen und gestalten. Ihre Abberufung/Kündigung sei theoretisch möglich, in der Praxis aufgrund Familienzugehörigkeit, ...