Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenzgeld. Versäumung der Antragsfrist. Voraussetzungen der Nachfrist. Europarechtskonformität. Zurechnung des Verschuldens eines Vertreters. keine Vertretereigenschaft des Insolvenzverwalters. Nichterweislichkeit der Falschberatung
Leitsatz (amtlich)
§ 324 Abs 3 SGB 3 verletzt nicht die vom EuGH in seiner Entscheidung vom 18.9.2003 - C-125/01 = SozR 4-4300 § 324 Nr 1 aufgestellten Voraussetzungen der Gleichwertigkeit und Effektivität.
Orientierungssatz
1. Eine Nachfrist nach § 324 Abs 3 S 2 SGB 2 ist nur gegeben, wenn der Arbeitnehmer die Versäumung der Antragsfrist nicht zu vertreten hat. Auch der nicht rechtskundige Arbeitnehmer hat jedoch Beratungsfehler Dritter, um deren Rechtsrat er nachgesucht hat, in gleicher Weise zu vertreten wie andere Berechtigte. Nach dem Wortlaut der Regelungen über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gilt dieser Grundsatz allerdings nur dann, wenn jener Beratungsfehler einem Vertreter des Betroffenen zur Last zu legen ist. Deshalb stellt es in der Regel einen Wiedereinsetzungsgrund dar, wenn der Betroffene von einer Person eine falsche Auskunft erhalten hat, auf deren Sachkunde er vertrauen durfte, die er jedoch nicht mit der Wahrnehmung seiner Interessen betraut hatte. Die Rechtsprechung hat jedoch als Vertreter, dessen Verschulden im Rahmen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurechenbar ist, nicht nur den unmittelbar Verfahrensbevollmächtigten angesehen. Sie hat dem Betroffenen auch das Verschulden solcher Personen zugerechnet, die er nicht beauftragt und bevollmächtigt hatte, bestimmte Erklärungen abzugeben bzw einer bestimmten Behörde oder einem Gericht gegenüber aufzutreten, sondern denen insoweit lediglich Vorbereitungshandlungen oblagen. Es kommt also jeweils darauf an, ob der Dritte noch im Rahmen des ihm erteilten Auftrags tätig wird.
2. Der Insolvenzverwalter und seine Mitarbeiter sind - von atypischen Fallgestaltungen abgesehen - weder in einem rechtlichen noch auch nur in einem tatsächlichen Sinne Vertreter oder Bevollmächtigte der von der Arbeitgeberinsolvenz betroffenen Arbeitnehmer.
3. Zur Nichterweislichkeit einer Falschberatung durch den Insolvenzberater.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 10. November 2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin Anspruch auf Insolvenzgeld (Insg) hat.
Die Klägerin war aufgrund eines Arbeitsvertrages vom 16.02.1999 als Büroleiterin und Assistentin der Bauleitung bei ihrem - mittlerweile von ihr geschiedenen - Ehemann A. M. in dessen Unternehmen M. Haus Bauträger und Projektentwicklung A. M. e.K. (so der Name der Firma im Arbeitsvertrag) bzw. M. Haus Generalunternehmen und Projektentwicklung A. M. e.K. (so der Name der Firma im Insolvenzverfahren; im Folgenden: der Arbeitgeber) beschäftigt. Als Monatsgehalt waren 3.000 DM brutto vereinbart. Das Arbeitsverhältnis wurde durch Arbeitgeberkündigung zum 30.04.2000 beendet. Der Betrieb des Arbeitgebers wurde Anfang 2001 auf die M. H.-M. System GmbH übertragen, die später zahlungsunfähig wurde, was wiederum zur Insolvenz des Arbeitgebers als natürlicher Person führte.
Am 22.01.2001 zog der Arbeitgeber aus der damaligen Ehewohnung aus. Zunächst versuchte die Klägerin mit anwaltlicher Hilfe im Jahre 2001 und 2002 Gehaltsansprüche gegen den Arbeitgeber durchzusetzen. Seit Beginn des Jahres 2002 kommunizierten die Klägerin und der Arbeitgeber im Wesentlichen nur noch über ihre Prozessbevollmächtigten im Scheidungsverfahren. Über das Vermögen des Arbeitgebers wurde aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Dresden vom 07.05.2002 (541 IN 528/02) mit Wirkung vom 08.05.2002, 00.00 Uhr, das Insolvenzverfahren eröffnet. Als die Klägerin erfahren hatte, dass der Arbeitgeber einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hatte, wandte sie sich mit Schreiben vom 31.05.2002 an den Insolvenzverwalter und machte u.a. für die Monate Februar bis April 2000 einen Gehaltsanspruch geltend, den sie in DM (irrtümlich) mit 4.123,50 und in EUR mit 3.642,19 bezifferte.
Die Klägerin stellte am 26.07.2002 bei der Beklagten einen Insg-Antrag. In dem Formularantrag vom 31.07.2002 machte sie für die Monate Februar bis April 2000 ein ausgefallenes Bruttoarbeitsentgelt von jeweils 3.000 DM/Monat und hieraus - entsprechend der Gehaltsabrechnung - ein Nettoarbeitsentgelt von jeweils 2.374,50 DM/Monat geltend. Hierzu teilte der Insolvenzverwalter durch den Zeugen W. der Beklagten mit, die Geschäftsunterlagen des Schuldners hätten keine offenen Verbindlichkeiten gegenüber ehemaligen Arbeitnehmern ausgewiesen. Außerdem habe der Arbeitgeber ihm, dem Zeugen W., versichert, dass sämtliche Lohn- und Gehaltsansprüche ausgeglichen seien. Es habe daher keine Notwendigkeit bestanden, ehemalige Arbeitn...