Entscheidungsstichwort (Thema)
Kinderzuschlag. Einkommensberücksichtigung und -berechnung. Sonderregelung in § 20 Abs 6 S 1 BKGG 1996 aus Anlass der COVID-19-Pandemie. nachteilige Auswirkungen in Einzelfällen. Verfassungsmäßigkeit. Verzicht. Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs
Leitsatz (amtlich)
1. Die Einführung der Sonderregelung in § 20 Abs 6 S 1 BKGG (juris: BKGG 1996), wonach für Anträge, die in der Zeit vom 1.4.2020 bis zum 30.9.2020 eingehen, bei der Ermittlung des monatlich zu berücksichtigenden Einkommens der Eltern nur das Einkommen aus dem letzten Monat vor Beginn des Bewilligungszeitraums maßgeblich ist, beruht auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers, der hierbei auch in Kauf genommen hat, dass sich diese Sonderregelung in Einzelfällen auch zu Lasten eines Antragstellers auswirken kann.
2. Die befristete Sonderregelung in § 20 Abs 6 S 1 BKGG ist verfassungsgemäß.
Orientierungssatz
1. Von einem Verzicht werden allein noch nicht erfüllte oder noch nicht auf andere Weise erloschene sowie zukünftige Einzelansprüche aus dem Recht erfasst. Auf bereits "abgewickelte" Leistungsansprüche kann sich der Verzicht nach § 46 SGB 1 nicht erstrecken (vgl BSG vom 24.7.2003 - B 4 RA 13/03 R = SozR 4-1200 § 46 Nr 1).
2. Zu den Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs.
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Dresden vom 15. April 2021 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen einen Gerichtsbescheid, mit dem ihre auf höheren Kinderzuschlag gerichtete Klage abgewiesen wurde.
Die 1975 geborene, verheiratete Klägerin lebt zusammen mit ihrem Ehemann und ihren sechs 1998, 2002, 2007, 2010, 2013 und 2017 geborenen Kindern in einer Mietwohnung. Die Wohngeldbehörde des Landratsamtes Z.... bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 21. Juli 2020 einen Vorschuss auf Wohngeld in Höhe von monatlich 450,00 EUR für die Monate August bis November 2020.
Die Klägerin bezog für ihre Kinder auf Grund des Bescheides der Beklagten vom 9. März 2020 Kinderzuschlag nach § 6a des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) für März 2020 bis August 2020 in Höhe von monatlich 703,00 EUR. Dabei wurde Elterneinkommen angerechnet.
Der Ehemann der Klägerin wechselte zum 1. August 2020 zu einem neuen Arbeitgeber. Im August 2020 erhielt er vom alten Arbeitgeber den Lohn für Juli 2020 in Höhe von 2.576,00 EUR brutto (arbeitsvertraglich vereinbarte Lohnzahlung am 15. eines Monates für den vorhergehenden Monat) sowie vom neuen Arbeitgeber den für August 2020 in Höhe von 2.308,00 EUR brutto (arbeitsvertraglich vereinbarte Lohnzahlung am Monatsende).
Auf den Antrag vom 23. Juni 2020 hin bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 2. September 2020 Kinderzuschlag für die Monate September 2020 bis Februar 2021 in Höhe von monatlich 115,00 EUR.
Die Klägerin legte hiergegen mit Schreiben vom 9. September 2020 Widerspruch ein. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb sich die Leistungshöhe um 588,00 EUR im Vergleich zum letzten Bewilligungszeitraum verringere, und weshalb von einem Elterneinkommen in Höhe von 3.099,49 EUR [netto] ausgegangen werden, wo dieses zuvor bei 1.748,11 EUR gelegen habe. Das Einkommen Ihres Ehemannes hätte von März bis August 2020 im Schnitt nicht mehr als 1.800,00 EUR betragen. Im Juni 2020 habe es sich aufgrund von Kurzarbeit "Null" nur auf 1.303,23 EUR und im Mai 2020 wegen Kurzarbeit auf 1.621,12 EUR belaufen. Seit April 2018 habe er ein etwa gleich bleibendes Einkommen gehabt. Zum August 2020 habe er wegen der zuvor verordneten Kurzarbeit und der allgemeinen Ungewissheit die Arbeitsstelle gewechselt, obwohl er dort ca. 100,00 EUR weniger Einkommen erziele. Sie selbst bekomme seit April 2020 kein Elterngeld mehr; die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz für ihre Tochter Y.... betrügen 0,00 EUR. Trotzdem müsse das Schulgeld weitergezahlt werden.
Mit Änderungsbescheid vom 26. Oktober 2020 erhöhte die Beklagte den Kinderzuschlag für den Bewilligungszeitraum auf monatlich 144,00 EUR.
Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. November 2020 zurück. Der Bewilligungszeitraum beginne mit dem Monat, in dem der Antrag auf Kinderzuschlag gestellt werde, jedoch frühestens nach Ende des laufenden Bewilligungszeitraums. Grundsätzlich sei das zu berücksichtigende Einkommen aus dem Durchschnitt des in den sechs Monaten vor Beginn des (neuen) Bewilligungszeitraumes zugeflossenen Einkommens zu ermitteln. Allerdings sei gemäß § 20 Abs. 6 Satz 1 BKGG für Anträge, die - wie hier - in der Zeit vom 1. April 2020 bis zum 30. September 2020 eingingen, entsprechend der Regelungen zum Notfall-Kinderzuschlag nur das Einkommen der Eltern aus dem letzten Monat vor Beginn des Bewilligungszeitraums maßgebend, hier dem August 2020. Bei den Kindern verbleibe es bei dem Durchschnittseinkomme...