Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Verlängerung der Familienversicherung über das 25. Lebensjahr hinaus wegen Ableistung des Grundwehrdienstes. Verzögerung der Ausbildung. ursächlicher Zusammenhang
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Verlängerung der Familienversicherung aufgrund einer dienstbedingten Verzögerung.
2. Für das Tatbestandsmerkmal der dienstbedingten Verzögerung können die Grundsätze zum Waisenrentenrecht in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung herangezogen werden (vgl LSG Mainz vom 20.8.2015 - L 5 KR 149/14).
Orientierungssatz
Zu Leitsatz 2 vgl auch BSG vom 27.01.1976 - 8 RU 2/75 = SozR 2200 § 583 Nr 1.
Normenkette
SGB III § 60 Abs. 2 S. 1; SGB V § 10 Abs. 2 Nr. 3; SGB VI § 48 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 5 S. 1; SGB VII § 67 Abs. 4; SGB XI § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, § 48 Abs. 1; BKGG § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 2 Ab S. 2; ZDG § 14b; GG Art. 3, 12
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 23. Juni 2015 sowie der an den Kläger gerichtete Bescheid der Beklagten vom 29. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 2012 aufgehoben.
II. Es wird festgestellt, dass der Kläger über den 1. Februar 2012 hinaus für weitere neun Monate in der Familienversicherung der Beigeladenen zu 1 kranken- und pflegeversichert war.
III. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu tragen.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten der Sache nach darüber, ob der Kläger über den 1. Februar 2012 hinaus für weitere neun Monate in der Familienversicherung der Beigeladenen zu 1 kranken- und pflegeversichert ist.
Der am … 1987 geborene Kläger beendete im Juni 2005 seine Schulausbildung. Vom 1. Juli 2005 bis 31. März 2006 leistete er seinen Grundwehrdienst. Vom 1. April 2006 bis 30. September 2006 ging er keiner sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nach und bezog auch keine sonstigen Leistungen. Vom 1. Oktober 2006 bis 30. September 2009 absolvierte er eine Ausbildung zum Krankenpfleger. In der Zeit vom 1. Oktober 2009 bis 30. September 2010 war er in diesem Beruf tätig. Nach anschließender Arbeitslosigkeit vom 1. Oktober 2010 bis 17. Oktober 2010 arbeitete er vom 18. Oktober 2010 bis 16. Mai 2011 als Sprechstundenhelfer in einer ambulanten Arztpraxis. Vom 17. Mai 2011 bis 30. September 2011 war er erneut arbeitslos und bezog zuletzt Krankengeld. Am 1. Oktober 2011 nahm er ein Studium der Chemie auf, dem er auch im streitgegenständlichen Zeitraum noch nachging.
Der Kläger war als Sohn der Beigeladenen zu 1 bei der Beklagten gesetzlich kranken- und bei der Beigeladenen zu 2 sozial pflegeversichert.
Mit Bescheid vom 15. Dezember 2011 teilte die Beklagte der Beigeladenen zu 1 mit, der Kläger vollende am 1. Februar 2012 das 25. Lebensjahr, seine Familienversicherung ende mit diesem Tag. Ein Nachweis des Zugangs dieses Bescheides ist der Beklagten nicht möglich.
Der Kläger beantragte, nachdem ihm der gegenüber der Beigeladenen zu 1 erteilte Bescheid bekannt geworden war, die Beklagte möge ihm gegenüber einen gesonderten seine Familienversicherung betreffenden Bescheid erlassen (Schreiben vom 23. Februar 2012).
Die Beigeladene zu 1 machte durch Widerspruchsschreiben vom 24. Februar 2012 geltend, den Bescheid vom 15. Dezember 2011 nicht erhalten zu haben. Sein Inhalt sei ihr nur durch eine vom Kläger überreichte Kopie am 24. Februar 2012 zur Kenntnis gelangt. Es werde um Erlass eines rechtsbehelfsfähigen Bescheides gegenüber dem Kläger gebeten.
Mit an den Kläger gerichtetem Bescheid vom 29. Februar 2012 teilte die Beklagte mit, er habe am 1. Februar 2012 das 25. Lebensjahr vollendet, seine Familienversicherung ende mit diesem Tag. Nach den gesetzlichen Bestimmungen des § 10 Abs. 2 Nr. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) sei die Familienversicherung für Kinder bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres möglich, wenn sich diese in Schul- oder Berufsausbildung befänden. Werde die Schul- oder Berufsausbildung durch Erfüllung einer gesetzlichen Dienstpflicht unterbrochen oder verzögert, bestehe die Versicherung auch für einen der Dauer dieses Dienstes entsprechenden Zeitraum über das 25. Lebensjahr hinaus. Unterbrochen sei eine Schul- oder Berufsausbildung, wenn die Dienstpflicht zwischen Beginn und Ende der Ausbildung liege. Eine Verzögerung liege vor, wenn der Beginn der Ausbildung durch die Erfüllung der gesetzlichen Dienstpflicht hinausgeschoben werde. Der Kläger sei seiner Dienstpflicht vom 1. Juli 2005 bis 31. März 2006 nachgekommen. Sein Studium habe er am 1. Oktober 2011 aufgenommen. Seine Ausbildung sei durch die Dienstpflicht nicht unterbrochen und auch nicht verschoben worden. Deshalb sei eine Verlängerung über das 25. Lebensjahr hinaus nicht möglich.
Mit Schreiben vom 21. März 2012 hielt die Beigeladene zu 1 an ihrem Widerspruch fest.
Gegen den Bescheid vom 29. Februar 2012 legte der Kläger durch anwaltliches Schreiben am 29. März 2012 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, die ...