Rz. 15
Versicherungspflicht besteht auch bei einer Beschäftigung zur Berufsausbildung. Im Grundsatz treffen auf Berufsausbildungsverhältnisse dieselben Merkmale und Kriterien zur Beurteilung der Versicherungspflicht der Regelbeschäftigungsverhältnisse zu. Beschäftigungen zur Ausbildung sind insbesondere von persönlicher Abhängigkeit gekennzeichnet. Anders als bei Regelbeschäftigungsverhältnissen werden dem Auszubildenden Fachkenntnisse und Berufserfahrung vermittelt. Auszubildende sollen nach Auffassung des Gesetzgebers zu ihrem Schutz ohne Rücksicht auf die Höhe der Vergütung in die Versicherungspflicht einbezogen werden. Deshalb sind sie bei betrieblicher Ausbildung unabhängig von der Höhe der Ausbildungsvergütung versicherungspflichtig zur Arbeitsförderung. § 8 SGB IV (Geringfügigkeit) gelte nicht für Auszubildende, auch die Gleitzonenregelung erfasse Auszubildende nicht (BSG, Urteil v. 15.7.2009, B 12 KR 14/08 R). Durch die ständige Rechtsprechung des BVerfG ist demnach geklärt, dass es im Spannungsverhältnis zwischen der (Vorsorge-)Freiheit des Einzelnen und den Anforderungen einer sozialstaatlichen Ordnung weitgehend in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers liegt, ob er eine Pflichtversicherung begründen will und wen diese erfassen soll. Die Einbeziehung in die Versicherung erfolgt nach Maßgabe einer typisierten Schutzbedürftigkeit ohne Rücksicht auf die individuellen Verhältnisse.
Der Gesetzgeber darf dabei die Sozialversicherung primär an der Schutzbedürftigkeit der abhängig Beschäftigten ausrichten, ist aber dennoch im Rahmen seines weiten Gestaltungsspielraums nicht aufgrund des Art. 3 GG gehalten, deshalb jede denkbare Form von Beschäftigung in den Schutz der Sozialversicherung einzubeziehen. Erst recht ist er demnach grundsätzlich nicht zu einer Gleichbehandlung unterschiedlicher Versichertengruppen gezwungen.
Von daher begegnet es mit Blick auf die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers keinen Bedenken, wenn Versicherungspflicht fortbesteht, obwohl das monatliche Entgelt die Geringfügigkeitsgrenze des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV von 520,00 EUR monatlich (seit 1.10.2022) unterschreitet. Diese Norm verkörpert keine eigenständige Regelung mit Tatbestand und Rechtsfolge, sondern beschränkt sich u. a. auf die abstrakte und allgemeine Bestimmung des Begriffs der geringfügigen Beschäftigung, der erst als Element des Tatbestands von Bestimmungen in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung und damit auch für die Arbeitsförderung Bedeutung erlangt.
Die Rechtsfolgenanordnung u. a. in Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 führt dazu, dass die betroffenen geringfügig Beschäftigten trotz Erfüllung des Grundtatbestands der abhängigen Beschäftigung von der Arbeitslosenversicherung nicht erfasst werden. Dem liegt für das BSG erkennbar die Wertung zugrunde, dass u. a. entgeltgeringfügige Beschäftigungen mangels ausreichender wirtschaftlicher Bedeutung in aller Regel keinen ausreichenden Anlass für eine zwangsweise öffentlich-rechtliche Sicherung des Arbeitnehmers für das Risiko der Arbeitslosigkeit darstellen. Der Gesetzgeber hat zuletzt mit Wirkung zum 1.10.2022 mit einer Anhebung der Geringfügigkeitsgrenze auf 520,00 EUR monatlich und eine Umstellung auf eine dynamische Anpassung der Grenze in Abhängigkeit von der Entwicklung des Mindestlohnes reagiert. Grundlegende Bedenken haben weder das BVerfG noch unter dem Aspekt der mittelbaren Diskriminierung von Frauen der EuGH erhoben.
Die Anordnung der Versicherungsfreiheit ist jedoch dem BSG zufolge ausnahmsweise nicht gerechtfertigt, wo einem am allgemeinen Erwerbsleben gemessen geringen Entgelt gruppenspezifisch typisierend dennoch entscheidende wirtschaftliche Bedeutung zukommt. Das Gesetz nimmt dies unter anderem beim Vorliegen einer Beschäftigung auf der Grundlage des Erwerbs beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen im Rahmen betrieblicher Berufsbildung an. Auch insofern bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Gesetz geht in zulässiger Typisierung und Pauschalierung vor allem von solchen geringfügigen Beschäftigungen aus, die – häufig von verheirateten Frauen – im Rahmen des Neu- und Wiederzugangs zu einer Berufstätigkeit isoliert ausgeübt werden.
Gerade die Gruppe der zu ihrer Ausbildung Beschäftigten weicht von diesem angenommenen "Regelfall des Ausnahmetatbestands" in wesentlichen Punkten mit der Folge ab, dass bei ihnen die für Beschäftigte grundsätzlich angeordnete Sozialversicherungspflicht bestehen bleibt. Bei diesem Personenkreis handelt es sich außerdem typischerweise nicht um Berufsrückkehrer. Vielmehr liegt bei den zu ihrer Berufsausbildung betrieblich Beschäftigten ein Sonderfall innerhalb der Gruppe der entgeltgeringfügig Beschäftigten vor. Zu berücksichtigen ist zudem, dass die zugrunde liegende Tätigkeit zweckgebunden im Rahmen der Berufsbildung erfolgt und damit weniger die Erbringung produktiver Arbeit als vielmehr die Vermittlung beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen im Vordergrund steht. Hervorgehoben wird dieser spezielle ...