Rz. 6
Die Vorschrift verpflichtet die Widerspruchsausschüsse zur Anhörung der Beteiligten. Da ausdrücklich der Begriff "Widerspruchsführer" genannt ist, geht es um die Verfahrensgrundsätze des Verwaltungsverfahrensrechts, also die Verpflichtung zur Anhörung nach § 24 SGB X vor Erlass eines Verwaltungsaktes, hier einer Widerspruchsentscheidung nach § 73 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) oder nach § 85 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Die Vorschrift bestimmt, dass der Widerspruchsführer stets anzuhören ist, nur in den Fällen, in denen es um Verfahren nach Kapitel 4, also um Verfahren im Zusammenhang mit dem Kündigungsschutz geht, ist der Personenkreis der Anzuhörenden weiter gefasst. In diesen Fällen sind sowohl der Arbeitgeber als auch der schwerbehinderte Mensch vor der Entscheidung zu hören. In den Gesetzentwürfen (BT-Drs. 14/5074 und BT-Drs. 14/5531) war zunächst – wie in § 43 Abs. 2 des Schwerbehindertengesetzes – die Anhörung sowohl des schwerbehinderten Menschen als auch des Arbeitgebers vorgesehen. Diese Regelung wurde auf einen Vorschlag des Bundesrates auf die Fälle der Verfahren in Kündigungsschutzangelegenheiten eingeschränkt. Zur Begründung hatte der Bundesrat im Ersten Durchgang der Beratungen des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (BR-Drs. 49/01 – Beschluss) argumentiert, die Anhörung des Arbeitgebers und des schwerbehinderten Menschen ergebe nur dann Sinn, wenn es sich um zweiseitige Verwaltungsverfahren in Angelegenheiten des besonderen Kündigungsschutzes handele. In allen anderen Fällen, in denen es z. B. um die Erbringung von Leistungen aus Mitteln der Ausgleichsabgabe gehe, sei nur der jeweilige Widerspruchsführer zu hören.
Rz. 7
Dem ist grundsätzlich zuzustimmen, dennoch greift die Regelung für die anderen zweiseitigen Verwaltungsverfahren außerhalb der Verfahren des besonderen Kündigungsschutzes zu kurz. Etwa in Angelegenheiten der Gleichstellung eines behinderten Menschen mit einem schwerbehinderten Menschen (§ 151 Abs. 2) können sowohl der Arbeitgeber als auch der behinderte Mensch durch eine beabsichtigte Entscheidung gleichermaßen beschwert sein. So ist ein Arbeitgeber durch eine Gleichstellung eines behinderten Menschen wegen der Auswirkungen auf die Zahl der Pflichtarbeitsplätze und die Zahlung einer Ausgleichsabgabe sowie wegen des besonderen Kündigungsschutzes beschwert und hat – obgleich ein Gleichstellungsverfahren nur von dem behinderten Menschen betrieben werden kann – ein eigenes Widerspruchs- und Anfechtungsklagerecht. Deshalb ist in einem solchen Verfahren der Arbeitgeber zu hören. In den Fällen, in denen eine Gleichstellung abgelehnt wurde, aber sowohl der behinderte Mensch als auch der Arbeitgeber ein jeweiliges Interesse an einer Gleichstellung haben, sollten in den Widerspruchsverfahren beide Beteiligte anzuhören sein. Diese Anhörung kann nach § 24 SGB X erfolgen.