Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Fremdgeschäftsführer einer GmbH & Co KG. Treuhandvertrag mit Kommanditistin der Komplementär-GmbH der KG. Stimmrechtsvollmacht. Vereinbarungstreuhand. aufschiebend bedingte Übertragung der Kommanditanteile auf die treugebenden Geschäftsführer. Rechtsmacht. Unbeachtlichkeit von Regelungen eines außerhalb des Gesellschaftsvertrages geschlossenen Treuhandvertrages
Leitsatz (amtlich)
1. Nicht am Gesellschaftskapital beteiligte Geschäftsführer einer (GmbH & Co) Kommanditgesellschaft verfügen als Fremdgeschäftsführer nicht über eine Rechtsmacht, kraft welcher sie auch nur ihnen nicht genehme, sich auf die Geschäftstätigkeit der KG beziehende Gesellschafterbeschlüsse verhindern könnten. Sie sind daher bei der KG abhängig beschäftigt.
2. Dies gilt auch, wenn die alleinige Kommanditistin und zugleich Alleingesellschafterin und -geschäftsführerin der Komplementär-GmbH der KG ihre Kommanditanteile und ihre Anteile an der Komplementär-GmbH aufgrund eines außerhalb der Gesellschaftsverträge geschlossenen Treuhandvertrages im wirtschaftlichen Interesse der KG-Geschäftsführer hält.
3. Aus der in einem solchen Treuhandvertrag enthaltenen Bevollmächtigung der Geschäftsführer zur Ausübung der der Treuhänderin zustehenden Stimmrechte folgt nichts anderes. Denn trotz der Stimmrechtsvollmacht bleibt die alleinige Kommanditistin und Treuhänderin als Vollrechtsinhaberin zur Stimmrechtsausübung befugt (vgl BSG vom 10.12.2019 - B 12 KR 9/18 R = BSGE 129, 254 = SozR 4-2400 § 7 Nr 46).
4. Auch eine im Treuhandvertrag vereinbarte aufschiebend bedingte Übertragung der Kommanditanteile auf die treugebenden Geschäftsführer ist im Rahmen der sozialversicherungsrechtlichen Statusbeurteilung so lange irrelevant, wie die vertraglich vorgesehene Bedingung nicht eingetreten ist (vgl BSG vom 12.5.2020 - B 12 R 11/19 R).
5. Regelungen eines außerhalb des Gesellschaftsvertrages geschlossenen Treuhandvertrages sind nicht geeignet, die sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmachtverhältnisse mit sozialversicherungsrechtlicher Wirkung zu verschieben, und sind deshalb im Rahmen der Statusbeurteilung unbeachtlich; sie widersprechen dem Grundsatz der Vorhersehbarkeit sozialversicherungsrechtlicher und beitragsrechtlicher Tatbestände. Insoweit besteht kein Unterschied zwischen einer GmbH und einer KG, auch wenn der Gesellschaftsvertrag einer KG - anders als der einer GmbH - nicht ins Handelsregister eingetragen wird. Denn die Außerachtlassung schuldrechtlicher Treuhandvereinbarungen wird durch deren fehlende Publizität nicht bedingt.
Normenkette
SGB IV § 7 Abs. 1 Sätze 1-2, § 7a Abs. 7 S. 1, § 14 Abs. 1 S. 1, § 28p Abs. 1 S. 5; SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 6 Abs. 6; GmbHG § 8 Abs. 1 Nr. 1, § 54 Abs. 1 S. 1; HGB § 9 Abs. 1 S. 1, §§ 120, 167-168; EStG § 15 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3; SGB XI § 20 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 1; SGB X § 44 Abs. 2; SGB III § 25 Abs. 1 S. 1; BGB §§ 133, 611; SGG § 86a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 2, § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 172 Abs. 3 Nr. 1, § 197a Abs. 1 S. 1; VwGO § 154 Abs. 2; GKG § 52 Abs. 2, § 3 S. 1
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 29. Juni 2021 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat - mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen - auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Streitwert wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht und das Beschwerdeverfahren auf jeweils 56.835,31 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Widersprüche gegen einen Bescheid der Antragsgegnerin, mit welchem diese die Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1) und 2) in der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung aufgrund eines zu der Antragstellerin bestanden habenden Beschäftigungsverhältnisses festgestellt hat, sowie gegen einen weiteren Bescheid der Antragsgegnerin, mit dem diese Beiträge zu sämtlichen Sozialversicherungszweigen aus an die vorgenannten Beigeladenen geleisteten Zahlungen für den Zeitraum vom 1. Januar 2016 bis zum 31. Dezember 2019 nacherhoben hat.
Die Antragstellerin wurde am 1. Juli 2014 gegründet und am 11. Juli 2014 in das Handelsregister bei dem Amtsgericht Lübeck eingetragen. Ihr Geschäftszweck besteht darin, sog. Influencer an Inhaber von Produkten bzw. Markenrechten zu vermitteln. Zwischen den sog. Influencern und den Rechteinhabern werden sodann Marketingverträge geschlossen, auf deren Grundlage die sog. Influencer verpflichtet sind, bestimmte Produkte bzw. Marken auf Social-Media-Kanälen zu bewerben. Ein schriftlicher Gesellschaftsvertrag besteht für die Antragstellerin nicht. Komplementärin der Antragstellerin ist die mit notariell beurkundetem Gesellschaftsvertrag vom 1. Juli 2014 gegründete F Verwaltungsgesellschaft mbH. Einzige Kommanditistin der Antragstellerin war bis zum 24. Juni 2020 Frau D, die Lebensgefährtin des B (dieser ist ...