Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer. unionsrechtlicher Arbeitnehmerbegriff. Annahme einer echten und tatsächlichen Tätigkeit. untergeordnete und unwesentliche Beschäftigung. 6 Stunden wöchentlich auf 6 Monate befristete Tätigkeit in der Obdachlosenhilfe. Weisungsgebundenheit. soziale Motivation des Arbeitgebers
Leitsatz (amtlich)
1. Eine im Umfang von 6 Stunden wöchentlich verrichtete abhängige Beschäftigung ist nicht völlig untergeordnet und unwesentlich.
2. Die Befristung einer Beschäftigung auf 6 Monate schließt die Annahme einer echten und tatsächlichen Beschäftigung im unionsrechtlichen Sinn nicht aus.
3. Nach Tarifvertrag vergütete Tätigkeiten, die nicht nach sozialrechtlichen Regelungen gefördert werden, stehen Maßnahmen zur Integration auf dem Arbeitsmarkt auch dann nicht gleich, wenn der Arbeitgeber mit der Beschäftigung auch soziale Zwecke verfolgt. Die Annahme einer echten und tatsächlichen Tätigkeit ist durch die soziale Zielsetzung nicht ausgeschlossen.
Tenor
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Schleswig vom 25. Mai 2022 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner erstattet dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Beschwerdeverfahren.
Der Antrag, dem Antragsteller für das Verfahren vor dem Landessozialgericht Prozesskostenhilfe zu gewähren, wird abgelehnt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im gerichtlichen Eilverfahren um einen Anspruch des 1985 geborenen Antragstellers auf aufstockende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch, 2. Buch (SGB II), ergänzend zu dem von ihm bezogenen Arbeitsentgelt aufgrund einer Tätigkeit für die Obdachlosenhilfe der Gemeinde S.
Der Antragsteller ist polnischer Staatsangehöriger, war selbst während seines Aufenthalts in Deutschland seit 2019 längere Zeit wohnungslos und hat am 31. März 2022 mit der Gemeinde S einen Arbeitsvertrag über eine Erwerbstätigkeit über regelmäßig 6 Stunden wöchentlich, vergütet nach der Entgeltgruppe 1 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) für die Zeit vom 1. April bis 30. September 2022 abgeschlossen.
Nachdem er zuvor am 15. März 2022 gegenüber dem Antragsgegner einen Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II gestellt hatte, hat er am 9. Mai 2022 bei den Sozialgerichts Schleswig einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.
Auf diesen Antrag hat das Sozialgericht Schleswig den Antragsgegner mit Beschluss vom 25. Mai 2022 vorläufig verpflichtet, dem Antragsteller vom 9. Mai 2022 bis längstens 30. September 2022 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners vom 14. Juni 2022.
Der Antragsgegner ist der Ansicht, es handele sich bei der von dem Antragsteller vergüten Tätigkeit nicht um eine tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeit. Die Beschäftigung bei der Gemeinde S diene nämlich im Wesentlichen der Reintegration Obdachloser in die Gesellschaft. Er sei daher nicht als Arbeitnehmer im europarechtlichen Sinne zu qualifizieren und könne seinen Aufenthalt in Deutschland nicht auf § 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU stützen.
Der Antragsgegner - Ausländerbehörde - hat mit Bescheid vom 30. Juni 2022 festgestellt, dass der Antragsteller sein Recht auf Einreise und Aufenthalt nach § 2 Abs. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU verloren habe.
Der Antragsteller tritt der Beschwerde entgegen. Er hat über seine Bevollmächtigte mitgeteilt, dass er gegen den Bescheid vom 30. Juni 2022 Rechtsbehelfe einlegen werde.
Ergänzend wird hinsichtlich des Sach- und Streitstandes auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Gerichtsakten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens sowie der Verwaltungsakte des Antragsgegners, alle vorliegend in elektronischer Form, Bezug genommen.
II.
Die fristgerecht innerhalb der Beschwerdefrist von einem Monat gemäß § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingegangene Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig.
Die Beschwerde ist aber nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht mit dem angefochtenen Beschluss den Antragsgegner vorläufig verpflichtet, dem Antragsteller ergänzende Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.
Gemäß § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf einen Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Entscheidungserhebliche Angaben sind dabei von den Beteiligten glaubhaft zu ...