Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Sachverständigenvergütung. besondere Aufwendungen. Erstattung der Umsatzsteuer. Anwendung der Regelungen des Umsatzsteuerrechts. umsatzsteuerrechtliche Qualifizierung eines medizinischen Gutachtens
Leitsatz (amtlich)
1. Welche Umsatzsteuer nach § 12 Abs 1 S 2 Nr 4 JVEG auf die Vergütung entfällt und gesondert zu ersetzen ist, bestimmt sich allein nach dem UStG (juris: UStG 1980).
2. Medizinische Gutachten, die im Auftrag eines Gerichts erstattet werden, sind umsatzsteuerrechtlich entweder als sonstige Leistung oder als bewegte Lieferung zu qualifizieren. Die Leistung ist damit spätestens mit dem Beginn der Versendung ausgeführt.
Tenor
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Itzehoe vom 16. Oktober 2020 wird zurückgewiesen.
Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob für ein bei Gericht am 1. Juli 2020 eingegangenes Gutachten die vom Sachverständigen zu zahlende Umsatzsteuer mit einem Umsatzsteuersatz von 19 oder von 16 Prozent zu vergüten ist.
Der Antragsteller war in einem unfallversicherungsrechtlichen Klageverfahren als Sachverständiger bestellt. Mit Schreiben vom 29. Juni 2020 an das Sozialgericht Itzehoe stellte er für das Gutachten einen Gesamtbetrag von 787,52 EUR in Rechnung. Dabei berechnete er die Netto-Leistung aus seinem Stundenhonorar, Leistungen für Röntgen nach GOÄ, Schreibkosten und Portoauslagen (letztere in Höhe von insgesamt 7,95 EUR) mit insgesamt 661,78 EUR und die darauf zu erhebende Mehrwertsteuer nach einem Steuersatz von 19 Prozent in Höhe von 125,74 EUR.
Das Schreiben vom 29. Juni 2020 ist zusammen mit dem erstatteten Gutachten am 1. Juli 2020 beim Sozialgericht Itzehoe ein.
Mit Schreiben vom 8. Juli 2020 wies die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle den Antragsteller darauf hin, dass der Vergütungsanspruch nach § 2 Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) mit dem Eingang des Gutachtens beginne. Wegen des am 1. Juli 2020 bereits geltenden abgesenkten Mehrwertsteuersatzes könne nur noch dieser und nicht mehr der reguläre Satz von 19 Prozent berücksichtigt werden. Sie bat den Antragsteller um Rechnungskorrektur.
Daraufhin hat der Antragsteller am 21. Juli 2020 gerichtliche Festsetzung beantragt. Umsatzsteuerrechtlich entscheidend sei die Ausführung der Leistung. Bewegte Lieferungen einschließlich Werklieferungen gelten mit dem Beginn der Beförderung oder Versendung als ausgeführt. Die Versendung sei aber bereits am 29. Juni 2020 erfolgt. § 2 Abs. 1 JVEG sei insoweit unerheblich, weil die Vorschrift lediglich das Erlöschen des Anspruchs auf Vergütung regele. Hier gehe es aber um die Ausführung der Leistung, die allein umsatzsteuerrechtlich zu beurteilen sei.
Der Antragsgegner ist dem Antrag entgegengetreten. Er hat vorgetragen, dass der Gutachtenauftrag wie ein Werkvertrag zu behandeln, die Werkleistung nach zivilrechtlichen Maßstäben aber erst dann erbracht sei, wenn die Werkleistung körperlich übergeben worden sei. Dies sei vorliegend erst am 1. Juli 2020 mit dem Eingang des Gutachtens beim Sozialgericht der Fall gewesen. Ein Abstellen auf den Beginn der Versendung würde im Übrigen der grundsätzlichen Überprüfbarkeit der Vergütungsanträge entgegenstehen.
Mit Beschluss vom 16. Oktober 2020 hat das Sozialgericht die Vergütung des Antragstellers auf 786,01 EUR festgesetzt und die Rechnung des Antragstellers lediglich insoweit gekürzt, als eine Umsatzsteuererstattung auch für Portoauslagen verlangt habe, obwohl diese nach § 4 Nr. 11b Umsatzsteuergesetz (UStG) umsatzsteuerfrei seien. Zu Recht könne der Antragsteller jedoch nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 JVEG Ersatz für die auf die Vergütung zu zahlende Umsatzsteuer in Höhe von 19 Prozent verlangen. Der Antragsteller könne Ersatz in dieser Höhe verlangen, ohne zuvor eine bindende finanzbehördliche oder finanzgerichtliche Entscheidung herbeiführen zu müssen. Die Kammer habe zwar Zweifel daran, ob die Gutachtenerstellung für ein Sozialgericht als Werklieferungsvertrag zu qualifizieren sei und deshalb als Lieferung i.S. des § 3 Abs. 1 UStG bewertet werden müsse; eher sei von einer sonstigen Leistung auszugehen, die grundsätzlich als im Zeitpunkt ihrer Vollendung ausgeführt gelten. Letztlich könne dies aber dahinstehen, weil selbst bei Zugrundelegung dieser für den Antragsgegner günstigen Rechtsauffassung nach Maßgabe des § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG ein Steuersatz von 19 Prozent gelten würde. Denn die Absendung des Gutachtens noch im Juni 2020 unterliege nach den Umständen des Falles keinem Zweifel. Das Sozialgericht hat in dem Beschluss, wegen dessen Einzelheiten auf Bl. 10 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen wird, die Beschwerde zugelassen.
Gegen den ihm am 28. Oktober 2020 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 3. November 2020 Beschwerde eingelegt.
Er nimmt zur Begründung auf sein bisherige Vorbringen Bezug. Zu Unrecht stütze sich das Sozialgericht allein auf das Umsatzsteuerrecht; ...