Entscheidungsstichwort (Thema)

sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. gerichtlicher Vergleich. Einschätzung der MdE. Dauerrente. Rücknahme. rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt. Neufeststellung. Aussparung. Nichtigkeit des Vergleichsvertrags

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Unfallverletzte und der Unfallversicherungsträger können Ungewißheiten über die Folgen eines Arbeitsunfalles und die daraus resultierende MdE im gerichtlichen Verfahren durch den Abschluß eines Vergleichs beseitigen.

2. Hat der Unfallversicherungsträger sich in einem solchen Vergleich zur Zahlung einer Dauerrente verpflichtet, ist er nicht berechtigt, den in Ausführung dieses Vergleichs erteilten Verwaltungsakt nach § 45 SGB 10 zurückzunehmen. Ebensowenig kann er die Leistung nach § 48 Abs 3 SGB 10 "aussparen", denn diese Vorschrift ist auf einen gerichtlichen Vergleich nicht entsprechend anwendbar. Dem steht nicht entgegen, daß auch nach Abschluß eines gerichtlichen Vergleichs eine Neufeststellung der vereinbarten Leistung zugunsten des Empfängers nach § 44 SGB 10 möglich ist.

3. Dem Unfallversicherungsträger ist das Festhalten an dem Vergleich auch dann zumutbar, wenn die darin zugrunde gelegte MdE um 10 vH zu hoch eingeschätzt worden ist. In einem solchen Fall ist der Vergleich weder nichtig noch kommen dessen Anpassung oder Änderung in Betracht.

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 3. Dezember 1998 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im zweiten Rechtszug.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer sogenannten Aussparungsentscheidung der Beklagten betreffend die Dynamisierung einer Verletztenrente, hinsichtlich deren Gewährung als Dauerrente die Beklagte sich in einem gerichtlichen Vergleich verpflichtet hatte, sie dem Kläger nach einer MdE von 40 v.H. zu gewähren.

Der ... geborene Kläger erlitt am 24. Januar 1986 einen Wegeunfall, bei dem er sich ein Schädelhirntrauma (Contusio cerebri) zuzog. Nach Einholung chirurgischer und neurologisch-psychiatrischer Gutachten gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 13. Februar 1987 eine vorläufige Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 30 v.H. ab 29. September 1986 unter Feststellung der Unfallfolgen: "Anteilige Beschwerden nach Kopfverletzung". Im Widerspruchsverfahren holte sie alsdann noch augenärztliche und HNO-ärztliche Gutachten ein und gab mit Widerspruchsbescheid vom 5. Februar 1988 dem Rechtsbehelf unter Anerkennung einer anteiligen zentralen Hörstörung als weitere Unfallfolge insofern teilweise statt, als sie die MdE von Rentenbeginn an auf 40 v.H. anhob. Mit seiner alsdann beim Sozialgericht Lübeck erhobenen Klage hatte der Kläger die Anerkennung weiterer Beschwerden im Nacken, in den Armen und im Rücken als mittelbare Unfallfolgen sowie eine dementsprechende Erhöhung der MdE begehrt. Das Sozialgericht holte ein schriftliches Gutachten von dem zum Sachverständigen bestellten Prof. ein, welches dieser am 20. Oktober 1988 erstattete. Darin bezeichnete er die Unfallfolgen als hirnorganisch bedingte Leistungsbeeinträchtigung und Wesensänderung, Kopfschmerz als Ausdruck einer posttraumatischen zentral-vegetativen Störung und diskrete Hemisymptomatik rechts ohne Funktionsrelevanz. Die MdE für diese bemaß er seit Rentenbeginn und auch für die Zukunft auf 40 v.H. Als Gesamt-MdE schlug er unter Berücksichtigung der MdE auf HNO-ärztlichem Fachgebiet von 10 v.H. eine solche von 50 v.H. vor. Die Beklagte reichte hierzu eine gutachterliche Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters Dr. vom 19. Dezember 1988 ein, in dem dieser der Einschätzung der unfallbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit allein auf neurologischem Fachgebiet mit 40 v.H. widersprach, insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt, daß dann nicht noch zusätzlich die zwischenzeitlich nicht mehr kontrollierte seinerzeit im HNO-ärztlichen Gutachten vorgeschlagene MdE von 10 v.H. hierzu addiert werden könne. Er schlug vor, es bei einer Gesamt-MdE von 40 v.H. zu belassen. Die Beklagte holte sodann ein weiteres HNO-ärztliches Gutachten Prof. Dr. und des Priv.-Doz. Dr. vom 16. September 1989 ein, in dem der letztgenannte wegen des Ergebnisses einer weiteren Untersuchung des Klägers im August 1989 ausführte, daß sich im Vergleich zum Vorgutachten von 1987 die bei dem Kläger vorliegende zentrale Hörstörung wesentlich gebessert habe. Eine MdE auf HNO-ärztlichem Gebiet bestehe deshalb unfallabhängig nicht mehr. Das Sozialgericht hörte in einem Termin vom 17. November 1989 den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Priv.-Doz. Dr. an, der sich dahingehend äußerte, daß die MdE auf neurologischem Gebiet mit 40 v.H. zu bemessen sei. Zum Zeitpunkt der Untersuchung des Klägers in der Neurologischen Universitätsklinik am 1. September 1988 habe noch eine Hörbehinderung bestanden. Deshalb sei bis zum Folgegutachten vom September 1989 die MdE von 10 v.H. hierzu zu addieren. Ab Sep...

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