Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Rücknahme eines rechtswidrig nicht begünstigenden Verwaltungsaktes. Bindungswirkung bestandskräftiger Verwaltungsakte und rechtskräftiger Urteile
Orientierungssatz
Gerichte sind sowohl an bestandskräftige Verwaltungsakte als auch an rechtskräftige Urteile, in letzterer Hinsicht jedenfalls dann, wenn nicht die speziellen prozessualen Voraussetzungen für ein gerichtliches Wiederaufnahmeverfahren erfüllt sind, gebunden. § 44 Abs 1 S 1 SGB 10 gibt nur der Verwaltung selbst die Möglichkeit, sich über frühere negative Entscheidungen zu Gunsten der Sozialleistungsberechtigten kraft besserer Erkenntnisse hinwegzusetzen.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 23. Mai 2002 dahingehend abgeändert, dass der Bescheid der Beklagten vom 20. März 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 6. Juni 2000 aufgehoben und die Beklagte verurteilt wird, der Klägerin unter Rücknahme ihres Bescheides vom 19. Dezember 1990 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. März 1991 eine Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 19. September 1988 nach einem Grad der MdE um 30 v. H. vom 1. Januar 1995 an zu gewähren.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für beide Instanzen zu 4/5.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist der Klägerin eine Verletztenrente zu gewähren unter Rücknahme eines Bescheides aus dem Jahre 1990, mit welchem die Beklagte die Gewährung einer solchen Rente abgelehnt hatte und der Gegenstand eines in zweiter Instanz für die Klägerin erfolglosen Rechtsstreits vor dem Sozialgericht Kiel und dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht (Az. S 1 U 26/91 und L 5 U 61/93)war.
Die 1953 geborene Klägerin ist gelernte Steuerfachgehilfin und war als Kaufmännische Angestellte tätig. Am 19. September 1988 erlitt sie auf dem Heimweg von der Arbeit einen Wegeunfall mit ihrem Pkw, sie kollidierte mit einem anderen Pkw an einer Kreuzung. Ausweislich des Durchgangsarztberichtes des Dr. S., Krankenhaus P./P., vom Unfalltag erlitt die Klägerin multiple Prellungen, ein Hämatom im Bereich der lateralen Fußwurzel links, eine Distorsion des linken Daumens im Grundgelenk, ein stumpfes Thoraxtrauma und ein Hämatom im Unterbauch.
Auf Veranlassung der Beklagten erstattete Prof. B. G. am 20. August 1990 ein handchirurgisches Gutachten. Nach Untersuchung der Klägerin schätzte dieser die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) für die Unfallfolgen wegen einer Distorsion und Kapselverletzung im linken Daumengrundgelenk mit 10 v.H. ein. Im neurologisch/psychiatrischen Zusatzgutachten des Dr. H. vom 14. August 1990 nahm dieser als Unfallfolge für sein Fachgebiet eine Gefühlsstörung des linken Daumens an, ohne eine MdE zu benennen. Aus chirurgischer Sicht schätzte Prof. W. am 19. Oktober 1990 die MdE vom 8. Mai 1990 bis 14. Juni 1990 mit 10 v.H. und danach mit unter 10 v.H. für unfallbedingt eingetretene Bewegungseinschränkungen des oberen und des unteren Sprunggelenkes links sowie folgenlos verheilter Narben und Prellungen ein. In einer ergänzenden Einschätzung nahm Prof. W. eine Gesamt-MdE mit 10 v.H. an. Mit Bescheid vom 19. Dezember 1990 lehnte daraufhin die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente auf Grund des Unfallereignisses ab. Die MdE sei nicht rentenberechtigend. Die Klägerin erhob Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 1. März 1991 als unbegründet zurückwies.
Im anschließenden Verfahren vor dem Sozialgericht Kiel wurde ein Gutachten des Chirurgen Dr. E. vom 24. März 1992 eingeholt. Dieser schätzte die MdE für die Unfallfolgen mit 10 v.H. ein. Auf Veranlassung des Sozialgerichts legte der Neurologe und Psychiater Prof. H. unter dem 16. November 1992 ein Gutachten vor und schätzte seinerseits die MdE für die Unfallfolgen mit 40 v.H. ein wegen einer Algodystrophie des linken Armes, d.h. einer Erkrankung an einem so genannten Morbus Sudeck. Daraufhin holte die Beklage ein neurologisch/psychiatrisches Gutachten des Dr. F. nach Aktenlage vom 4. Januar 1993 ein. Dieser bejahte ebenfalls als Unfallfolge eine Erkrankung an einem Morbus Sudeck des linken Armes und schätzte die MdE im Zeitraum vom 8. Mai 1990 bis 19. September 1990 mit 30 v.H., danach bis auf Weiteres mit 20 v.H. ein.
Entsprechend dem Gutachten Dr. F. gab die Beklagte mit Schriftsatz vom 29. Januar 1993 einen Anerkenntnis ab, mit welchem sie sich verpflichtete, der Klägerin Verletztenrente nach einer MdE um 30 v.H. für die Zeit vom 8. Mai bis zum 19. September 1990 und anschließend bis auf Weiteres nach einer MdE von 20 v.H. zu gewähren. Die Klägerin nahm dieses Anerkenntnis nicht an, sie vertrat die Auffassung, die MdE sei mit 40 v. H. zu bemessen. Mit Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 20. April 1993 verurteilte dieses die Beklagte, der Klägerin wegen d...