Entscheidungsstichwort (Thema)
Honorarverteilungsmaßstab. Fallzahlzuwachsbegrenzungsregelung. Unzulässigkeit von starren Grenzziehungen
Orientierungssatz
1. Fallzahlzuwachsbegrenzungen können nicht grundsätzlich als rechtswidrig angesehen werden (vgl BSG vom 13.3.2002 - B 6 KA 1/01 R = BSGE 89, 173 = SozR 3-2500 § 85 Nr 45). Unzulässig ist jedoch eine starre Grenzziehung für eine Praxiserweiterung mit einer Nichtabrechnung der weiteren Behandlungsfälle ohne Berücksichtigung der Umstände für die Fallzahlausweitung und der Gesamthonoraranforderung des abrechnenden Arztes.
2. Fallzahlzuwachsbegrenzungen sind lediglich dann ein angemessenes Verteilungskriterium, wenn dem Vertragsarzt im Zeitpunkt der Leistungserbringung vorhersehbar ist, in welchem Umfang er diese Leistungen vergütet erhält.
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Fallzahlzuwachsbegrenzung für das Quartal I/98.
Der Kläger nimmt seit März 1997 in Norderstedt als Orthopäde an der vertragsärztlichen Versorgung teil.
Die Abgeordnetenversammlung der Beklagten beschloss am 25. Juni 1997 für den Zeitraum vom 1. Juli 1997 bis zum 30. September 1998 in § 12 des Honorarverteilungsmaßstabes (HVM) eine Fallzahlzuwachsbegrenzung mit folgendem Wortlaut:
4 a Überschreitet der prozentuale Zuwachs der budgetrelevanten Behandlungsfälle einer Arztgruppe 5 v. H., unterliegen die Ärzte dieser Arztgruppe einer Fallzahlzuwachsbegrenzung. Hierzu werden die 5 v. H. der durchschnittlichen Fallzahl der Fachgruppe im Vorjahresquartal als absolute Zahl ermittelt. Überschreitet die Fallzahlzunahme einer Praxis diese Zahl, wird die anzuerkennende Honorarforderung im Maße dieser Überschreitung quotiert.
4 b Ärzte, deren individuelle Gesamtbudgets nach Abs. 4 a abgesenkt wurden, haben Anspruch auf anteilige Aufhebung der Quotierung, wenn sie im Verlauf der folgenden drei Quartale die Grenzwerte ihrer Arztgruppe entsprechend unterschreiten.
4 c Bei Überschreitungen der zulässigen Fallzahltoleranz, die durch länger andauernde Praxisabwesenheit begründet sind, kann der Vorstand eine den Umständen angemessene Korrektur der Fallzahlzuwachsbegrenzung vornehmen. Der Vorstand erlässt hierzu Durchführungsbestimmungen.
4 d Die Fallzahlzuwachsbegrenzung gilt nicht für Ärzte, die weniger als 16 Quartale abgerechnet haben, solange ihre Fallzahl im Vergleich zu ihrer Gruppe unterdurchschnittlich ist.
4 e Beim Statuswechsel einer Gemeinschaftspraxis in eine Praxisgemeinschaft oder mehrere Einzelpraxen oder Gemeinschaftspraxen in unmittelbarer räumlicher Nähe zueinander gilt für die ehemaligen Praxispartner die gemeinsame Fallzahl im Vorjahresquartal als Vergleichsbasis. Wird diese überschritten, wird ihr Honoraranspruch entsprechend quotiert. Abs. 4 b und 4 c finden Anwendung.
4 f Vergleichswerte für die Fallzahlzuwachsbegrenzung sind die budgetrelevanten Behandlungsfälle der Arztgruppe.
...
7. Honorarausgleichsmaßnahmen sind zulässig.
8. Über unbillige Härtefälle infolge der Anwendung dieses HVM entscheidet auf Antrag der Vorstand. EBM-bedingte Umsatzeinbußen gelten nicht als Härtefälle im Sinne dieses HVM.
In der Honorarabrechnung des Klägers für das Quartal I/98 (Primär- und Ersatzkassen) nahm die Beklagte bei einer verbleibenden Honorarsumme von 111.117,20 DM eine Honorarkürzung in Höhe von 29.114,57 DM vor. In dem Berechnungsbogen zu § 12 Abs. 4 HVM führte sie aus, die budgetrelevante Fallzahl des Klägers habe im aktuellen Quartal 1.558, im Vorjahresquartal 1.171 (unterstellt gemäß dem Fachgruppendurchschnitt) betragen, daraus ergebe sich ein Fallzahlzuwachs von 387. Die zulässige Fallzahltoleranz in Höhe von 5 % der budgetrelevanten Fallzahl der Arztgruppe im Vorjahresquartal von 55 überschreite der Kläger um 332 Fälle entsprechend 21,31 % seiner Fallzahl. Um diesen Prozentsatz sei das abgerechnete Honorar in Höhe von 136.623,96 DM zu kürzen.
Dagegen legte der Kläger am 21. Juli 1998 Widerspruch ein. Er trug vor, seine Praxis habe sich normal entwickelt, d. h. die Fallzahl sei zunächst sehr stark, dann etwas abgeschwächt gestiegen und stagniere jetzt auf einem Niveau von 1.600 Scheinen. Daraus ergebe sich auch unter Berücksichtigung der Vergleichszahl des Fachgruppendurchschnitts eine große Differenz zum Vorjahresquartal. Die Anwendung des § 12 Abs. 4 HVM stelle daher eine unbillige Härte dar. Obwohl er ebenso viel arbeite wie seine Kollegen, werde sein Honorar abgesenkt, da die Fallzahlzuwachsbegrenzung dem Praxisaufbau und der Startphase nicht gerecht werde. Sein Fallzahlzuwachs stelle keine unplausible Vermehrung der Behandlungsfälle dar, der § 12 Abs. 4 HVM entgegenwirken wolle. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 3. Februar 1999 zurück. Sie führte aus, angesichts der Budgetierung der Leistungen stellten eine höhere Zahl an Ärzten oder ein Fallzahlzuwachs die einzigen Risiken für einen stabilen Punktwert dar. Nach Nr. 5 der Vereinbarung zur Einführung von Praxisbudget...