Entscheidungsstichwort (Thema)

Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit. Gründungszuschuss. Nachweis der Tragfähigkeit der Existenzgründung. fachkundige Stelle. Rechtsanwalt. Prüfungspflicht der Bundesagentur für Arbeit. Prognoseentscheidung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Rechtsanwalt kann fachkundige Stelle iS von § 57 SGB 3 sein.

2. Nach der Neufassung von § 57 SGB 3 ab 1.8.2006 korrespondiert mit der Nachweispflicht des Existenzgründers betreffend die Tragfähigkeit der Existenzgründung eine eigene Prüfungspflicht der Bundesagentur für Arbeit.

3. Die Beurteilung der Tragfähigkeit der Existenzgründung ist eine Prognoseentscheidung, die nicht bereits dadurch fehlerhaft wird, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse anders als prognostiziert entwickeln.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 15. Januar 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um Überbrückungsgeld (Übbg) bzw. um einen Gründungszuschuss nach § 57 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) für die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit.

Der ... 1979 in Polen geborene Kläger lebt seit 1990 in der Bundesrepublik Deutschland und besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. Nach Erlangung des Hauptschulabschlusses (1997) und der erfolgreichen Teilnahme an einem Berufsvorbereitungslehrgang Bau bei der Kreishandwerkerschaft R...-E... (1997/98) war er - unterbrochen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit - bei verschiedenen Firmen im Baubereich tätig. Vom 11. März bis zum 31. Juli 2006 bezog der Kläger Arbeitslosengeld (Alg), zuletzt wegen Teilnahme an einer beruflichen Weiterbildung. Zum 1. August 2006 meldete er sich aus dem Bezug dieser Leistung ab. In dem Bewilligungsbescheid vom 11. März 2006 war eine Anspruchsdauer von 193 Kalendertagen angegeben.

Am 27. Juli 2006 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Übbg zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit nach § 57 SGB III und gab an, er werde am 1. August 2006 eine selbständige hauptberufliche Tätigkeit als Schreibservice in S...-A... aufnehmen. Der Kläger beschrieb die geplante Tätigkeit dahingehend, dass er die Schreibarbeiten für sieben Baufirmen erledigen wolle. Später erläuterte er, dass es sich um polnische Baufirmen mit Zweitsitz in Deutschland handele, für die er seine Kenntnisse und seine Zweisprachigkeit nutzen wolle. Sein jetziger Prozessbevollmächtigter, Rechtsanwalt (RA) E..., nahm als fachkundige Stelle zur Tragfähigkeit der Existenzgründung Stellung und führte mit Schreiben vom 24. Juli 2006 aus, der Kläger verfüge über fachliche Kenntnisse, habe ein Büro, PKW, Computer und andere Büroeinrichtungsgegenstände. Fremdkapital werde eingesetzt, da das Übbg und die Einnahmen für die Schreibarbeiten für sieben verschiedene Firmen, für welche er vorerst 400,00 EUR monatlich pro Firma erhalte, zum Lebensunterhalt ausreichen würden. Das Vorhaben scheine zum Aufbau einer tragfähigen Existenz geeignet.

Mit Schreiben vom 27. Juli 2006 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass sie erhebliche Zweifel an seiner Eignung für die geplante Existenzgründung und damit an deren Tragfähigkeit habe. Denn RA E... habe in seinem Anschreiben vorhandene fachliche Kenntnisse des Klägers bestätigt, die allerdings nicht aus seinem - des Klägers - Werdegang entnommen werden könnten. Der Kläger werde deshalb aufgefordert, eine eigene handschriftliche Kurzbeschreibung der Existenzgründung, Schulzeugnisse und andere Nachweise, die seine kaufmännische Befähigung belegten, eine fachkundige Stellungnahme der Industrie- und Handelskammer (IHK) und Angaben über bereits vorhandene Auftraggeber nachzureichen. Auf den Inhalt der hierauf zur Akte gereichten Unterlagen des Klägers wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 24. Oktober 2006 nahm die IHK Kiel zur Tragfähigkeit der Existenzgründung Stellung und führte aus:

“Wir weisen darauf hin, dass die mögliche monatlich geplante Privatentnahme in Höhe von 1.400,00 EUR nicht ausreichend unter der Prämisse einer tragfähigen Vollexistenz ist. Da keine kaufmännischen Kenntnisse vorliegen, muss das Unternehmen vollständig z.B. durch einen Steuerberater oder Bürodienstleister kaufmännisch gesteuert werden. Von den sechs von Herrn P... angegebenen auftraggebenden Unternehmen haben fünf keine Gewerbeanmeldung an den angegebenen Adressen bzw. sind überhaupt in Schleswig-Holstein gemeldet.

Zudem wird in Zweifel gezogen, dass Herr P... durch die nur mangelhafte Beherrschung der deutschen Schriftsprache erfolgreich einen Schreibservice wird anbieten können.„

In dem beigefügten formularmäßigen Vordruck verneinte die IHK die Frage, ob mit dem Vorhaben der Aufbau einer tragfähigen Existenzgründung insgesamt realisierbar scheine. Den von der IHK übersandten Unterlagen war ein an den Kläger gerichtetes Schreiben seiner jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 27. September 2006 beigefügt, in...

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