Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit. haftungsbegründende Kausalität. synkanzerogene Wirkung. berufsbedingter Krebs. mehrere krebserregende Stoffe. Nichterreichen des Dosisgrenzwertes. dasselbe Zielorgan. Bronchialkarzinom. Schweißer
Leitsatz (amtlich)
1. Synkanzerogenese ist die Verstärkung der krebserzeugenden Wirkung durch gleichzeitige oder aufeinanderfolgende Gaben mindestens zweier krebserregender Stoffe in einem Zielgewebe; das Zusammenwirken erhöht zumindest additiv das Krebsrisiko.
2. Bei der Synkanzerogenese sind alle Stoffe als wesentliche Ursachen zu betrachten, die infolge der Schweißrauchexposition des Versicherten an der Verursachung des zum Tode führenden Bronchialkarzinoms im Zielgewebe Lunge mitgewirkt haben; dabei spielt es keine Rolle, ob der Asbestfaserstaub die in der BK 4104 vorgegebene Expositionsdauer von 25 Faserjahren eingewirkt hat.
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 24. Februar 2003 und der Bescheid der Beklagten vom 23. Januar 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. Juni 2001 sowie der Bescheid der Beklagten vom 7. Dezember 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. März 2002 aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin unter Anerkennung der Lungenkrebserkrankung des Versicherten als Berufskrankheit nach den Nrn. 1103, 4109 und 2402 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung Hinterbliebenenrente ab 8. August 2000 zu gewähren.
3. Wegen der Nr. 4104 wird die Berufung zurückgewiesen.
4. Die Beklagte trägt die Kosten der Klägerin für beide Instanzen.
5. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten (noch) über einen Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Die Klägerin ist Witwe des am ... 1940 geborenen und ... 2000 verstorbenen Günter E. (im Folgenden: der Versicherte). Der Versicherte war von August 1958 bis 31. Dezember 1994 als Schweißer bei der B. und V. GmbH in H. beschäftigt. Von August 1958 bis Anfang 1974 hat er auf dem Helgen Schiffskörper zusammengeschweißt. Dabei waren beim Elektrohandschweißen mit Stabelektrode anfangs unbeschichtete, später geprimerte Bleche, wobei die Schweißkanten frei von Farbe waren, zu schweißen. Zur Arbeitsausrüstung gehörten u.a. Kniekissen, die in Asbesttuch eingenäht waren sowie Schweißanzüge. Von Anfang 1974 bis zum 31. Dezember 1994 arbeitete der Versicherte als Schweißer in der Schlosserei. Dabei wurden zu einem Anteil von ca. 40 % hochlegierte Stähle (Chrom-/Nickel-Stahl) und zu einem Anteil von ca. 60 % unlegierte Stähle und Aluminium geschweißt. Als Schweißverfahren kamen die Verfahren WIG-Schweißen (Wolfram-Inert-Gas-Schweißen), Lichtbogenhandschweißen (LHB) mittels Stabelektrode (Elektro-Hand-Schweißen) und MAG-Schweißen (Metall-Aktiv-Gas-Schweißen)/MAG-Schweißen mit Fülldraht-Elektrode mit jeweils einem Anteil von 1/3 zur Anwendung. Beim WIG-Schweißen wurden thoriumhaltige Zündelektroden verwendet. Bei Schweißarbeiten an Bohrinseln wurde mit “Termanit-X-Elektroden„ geschweißt. Ca. zweimal im Monat schweißte der Versicherte an Bord von Schiffen Rohre aus hochlegiertem Stahl. Beim Schweißen von hochlegiertem Stahl trug der Versicherte Staubmasken mit Ausatemventil und Halbmasken mit Staubfilter. Beim Schweißen von Tanks aus hochlegiertem Stahl sind fremd belüftete Helme zum Einsatz gekommen.
Mit Schreiben vom 23. Dezember 1999 teilte der Versicherte der Beklagten mit, dass bei ihm am 27. Oktober 1999 ein Lungentumor festgestellt worden sei. Er habe zeitlebens nie geraucht und bringe daher seine Erkrankung in Verbindung mit seiner Arbeit als Schweißer.
Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten ermittelte in der Stellungnahme vom 20. Januar 2000 für die Zeit von 1958 bis 1974 eine Belastung durch Asbeststaub durch die Nutzung von Kniekissen von 2,4 Asbestfaserjahren sowie eine Exposition gegenüber Chrom und Nickel. Nach den Ausführungen des TAD ergaben Messungen im Unternehmen an vergleichbaren oder gleichen Arbeitsplätzen Konzentrationen für Nickel von 0,02 µg/m³ und für Chrom von 0,03 µg/m³ als Maximalwerte. Der Betriebsarzt von B. & V., Dr. Ba., hatte 1990 und 1992 Chrom und Nickel im Harn des Versicherten bestimmt. Die Konzentrationswerte entsprachen nach Umrechnung dem EKA-Wert einer Konzentration in der Atemluft von 0,001 µg/m³ bzw. 9,3 µg/m³ Nickel. Hieraus errechnete der TAD eine Lebensarbeitsdosis für Chrom von 600 µg/m³ - Jahre.
Die Beklagte holte die gutachterliche Stellungnahme des Lungenfacharztes Dr. S. vom 16. Mai 2000 ein, der darin ausführte, dass das Computertomogramm keine Veränderungen der Pleura zeige, die mit einer Pleuraasbestose vereinbar seien. Von dem Vorliegen einer Berufskrankheit (BK) der Nr. 4104 (Lungenkrebserkrankung in Verbindung mit Asbestose) könne daher nicht ausgegangen werden. Die Konzentrationswerte von Chrom und Nickel, die ermittel...