Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialversicherungspflicht. telefonische Kundenservice-Tätigkeit in der Privatwohnung. Abgrenzung. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für die Abgrenzung einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung von einer versicherungsfreien selbständigen Tätigkeit sind im Falle der Erbringung von telefonischen Dienstleistungen das Maß der Eingliederung des Auftragnehmers in die betriebliche Arbeitsorganisation des Auftraggebers und der Grad der im Rahmen dieser Eingliederung bestehenden Weisungsunterworfenheit des Auftragnehmers in der Regel von ganz besonders wesentlichem Gewicht.

2. Unterhält der Auftragnehmer eine betriebsmittelarme Betriebsstätte in seiner Privatwohnung, die ebenso als Home-Office qualifiziert werden kann, kommt diesem Umstand weder für die Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses, noch für die Annahme einer selbständigen Tätigkeit eine Indizwirkung zu.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 6. Oktober 2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro

festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Sozialversicherungspflicht der Beigeladenen zu 1. im Rahmen ihrer im Zeitraum vom 25. Mai 2010 bis zum 4. Januar 2013 für die Klägerin ausgeübten Tätigkeit.

Die Klägerin betreibt einen - auch international tätigen - Schmuckgroßhandel, wobei sie insbesondere mit Zuchtperlen handelt. Die Beigeladene zu 1. betrieb im Jahr 2010 - und wohl auch bereits davor - als Einzelkauffrau selbständig das unter „M….“ firmierende Unternehmen. Nachdem sie sich im Mai 2010 aufgrund einer von der Klägerin in einem lokalen Anzeigenblatt veröffentlichten Stellenausschreibung für eine Telefonistin „auf 400 EUR-Basis“ beworben hatte, nahm die Beigeladene zu 1. am 25. Mai 2010 ihre Tätigkeit für die Klägerin auf, die darin bestand, dass die Beigeladene zu 1. von ihrem Heim-Arbeitsplatz aus Kunden der Klägerin nach einer von dieser vorgegebenen Liste antelefonierte oder Kontakt per E-Mail aufnahm, insbesondere, um mit diesen Kunden Termine für Außendienstmitarbeiter der Klägerin zu vereinbaren. Ein Arbeits- oder Dienstvertrag - oder auch irgendein anderer Vertrag, der die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1. für die Klägerin zum Gegenstand gehabt hätte - wurde zwischen den Beteiligten nicht geschlossen. Die Beigeladene zu 1. stellte der Klägerin monatliche Rechnungen, die in ihrer jeweiligen Höhe stark schwankten (zwischen einem Rechnungsbetrag in Höhe von 258,23 EUR gemäß Rechnung vom 21. Dezember 2011 und einem Rechnungsbetrag von 4.119,23 EUR gemäß Rechnung vom 11. Dezember 2012), im Durchschnitt stellte die Beigeladene zu 1. der Klägerin monatliche Rechnungsbeträge in Höhe von ungefähr 1.200,00 EUR einschließlich der jeweils ausgewiesenen Umsatzsteuer in Rechnung. Die Rechnungen erstellte die Beigeladene zu 1. auf dem Geschäftspapier ihres Unternehmens „M…“. Nachdem der mit Personalhoheit ausgestattete Prokurist der Klägerin H… B… sich in einer E-Mail vom 3. Januar 2013 gegenüber der Beigeladenen zu 1. über den Betrag, den diese für die Zusammenstellung von Adressen möglicher Kunden in den USA in Rechnung gestellt hatte (2.960,72 EUR), echauffiert und erklärt hatte, dass der hälftige Rechnungsbetrag überwiesen werde und damit die Zusammenarbeit aber auch beendet sei, gingen offenbar die Klägerin und die Beigeladene zu 1. übereinstimmend davon aus, dass es sich bei dem 3. Januar 2013 um den letzten Arbeitstag der Beigeladenen zu 1. für die Klägerin gehandelt hatte.

Am 29. Januar 2013 beantragte die Beigeladene zu 1. bei der Beklagten die Durchführung eines sozialversicherungsrechtlichen Statusfeststellungsverfahrens. Dabei machte sie auf dem dafür vorgesehenen Formularblatt nähere Angaben zu der von ihr ausgeübten Tätigkeit. Ihr sei eine Rahmenarbeitszeit von montags bis donnerstags, jeweils zwischen 9.00 Uhr und 16.30 Uhr, vorgegeben worden, innerhalb welcher sie sich ihre konkreten Arbeitszeiten frei habe einteilen können. Jeweils freitags habe sie von der Klägerin eine Liste mit den in der Folgewoche abzutelefonierenden Kunden erhalten, mit welchen sie als Zielwert 25 Termine für Außendienstmitarbeiter der Klägerin zu vereinbaren hatte. Mittwochs habe sie der Klägerin einen diesbezüglichen Statusbericht abliefern und donnerstags um 16.00 Uhr die Liste der vereinbarten Termine abliefern müssen. Wenn sie die erwartete Anzahl von Terminen nicht fixiert habe, hätte sie „nacharbeiten“ müssen. Neben der Vereinbarung von Außendienstterminen habe sie auch die Zusendung von Warenproben zur Ansicht an Kunden angeboten. Sie habe in ständigem Austausch mit ihr gegenüber weisungsbefugten Mitarbeitern der Klägerin gestanden, habe an Dienstbesprechungen und Firmenfeiern teilnehmen müssen, ausgefallene Kolleginnen vertreten und eine Schulung für neue Telefonistinnen durchgeführt. Ihre Pre...

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